Navigation auf uzh.ch
(Habilitation, 2018-2024)
Spätestens seit Jean-Paul Sartres "Qu'est-ce que la littérature?" (1948) wird die Literaturdebatte von der Frage begleitet, was 'engagierte' Kunst ist und welche Funktion sie in der Gegenwart einnimmt. Dabei hat, wie Jacques Rancière in seiner Schrift "Das Unbehagen der Ästhetik" (2007) konstatiert, die Ästhetik einen schlechten Ruf. Der Vorwurf einer unpolitischen, ästhetizistischen Kunst und Literatur und die damit einhergehende Forderung nach 'gesellschaftlicher Relevanz' sind in den gegenwärtigen Diskursen omnipräsent. Dabei ist dieser Vorwurf so alt wie die Ästhetik selbst. Seit ihrer Begründung als "Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis" (Alexander Baumgarten) im ausgehenden 18. Jahrhundert werden Kunst und Literatur immer wieder grob in zwei Kategorien unterteilt: Die Kunstautonomie der Weimarer Klassik, der französische und deutsche Ästhetizismus um 1900, die Popliteratur der 1990er Jahre - all diese unterschiedlichen Strömungen waren konfrontiert mit dem Vorwurf einer rein auf die künstlerischen Mittel fokussierten, selbstbezüglichen Literatur und eines damit einhergehenden weltabgewandten Eskapismus. Ihnen gegenübergestellt wird eine Tradition politischer Literatur, die sich in der Wirklichkeit situiert und darin eingreifen will. Auch aktuell - im Zeitalter multipler sozialer und ökologischer Krisen - sind Formen engagierter Literatur gefragt, die die Frage nach einer Transformation der Gesellschaft hin zu einer gerechteren und nachhaltigeren Zukunft stellen.
In seinem ersten theoretischen Teil rekonstruiert das Forschungsprojekt den Diskurs rund um engagierte Literatur seit dem zweiten Weltkrieg und verhandelt verschiedene Formen engagierter Literatur in der Gegenwart. Im zweiten Teil fokussiert die Arbeit auf die Werke von Peter Handke und Ann Cotten, und damit auf zwei Autor:innen, deren literarische Texte auf den ersten Blick eher artistisch, sprachkünstlerisch und selbstreferentiell erscheinen - wobei sehr bald deutlich wird, dass beide Autor:innen auf je unterschiedliche Weise eng mit einer Politik der Ästhetik verknüpft sind und auf ihre Weise als engagierte Literatur zu bezeichnen sind. Das Forschungsprojekt leistet damit einen Beitrag zu einem besseren Verständnis engagierter Literatur im Zusammenhang der drängenden Krisen der Gegenwart, indem es ihre unterschiedlichen Formen und Strategien untersucht und dabei die reduktionistische Gegenüberstellung von 'ästhetisch' vs. 'politisch' revidiert.
Die Biodiversitätskrise ist eines der zentralen Probleme, mit denen unser Planet heute konfrontiert ist. Um die Vielfalt des Lebens zu erhalten, bedarf es nicht nur politischer Ziele wie sie im Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework festgelegt wurden, sondern auch einer umfassenden soziokulturellen Veränderung mit grundlegend neuen Formen des Denkens und Lebens. In diesem Zusammenhang fordern Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft Erzählungen, die Menschen auf eine neue Art und Weise im "Netz des Lebens" verorten und Anleitung zur Transformation bieten.
Obwohl die Bedeutung von Geschichten für gesellschaftliche Transformation oft betont wurde, ist noch nicht klar, wie die Biodiversität erzählt wird, wie sich die Befürwortung des Naturschutzes rechtfertigt oder wie diese Erzählungen zur Transformation beitragen. Um nicht einfach nur die Bedeutung von Narrativen und ihrer Effektivität für die Kommunikation zu betonen, müssen kultur- und literaturwissenschaftliche Analysen systematisch die ethischen, ästhetischen und affektiven Dimensionen von Storytelling im Biodiversitätsdiskurs erforschen. Denn erst die Untersuchung von Formen und Funktionen von Narrativen und den relationalen Werten, die der Biodiversität in verschiedenen historischen und sozialen Kontexten zugeschrieben werden, führt zu einem besseren Verständnis davon, wie dieses Konzept als transformierendes Paradigma für den Naturschutz dienen kann. Das Projekt leistet einen entscheidenden Beitrag zu diesem Ziel: Durch eine erstmalige Analyse der transformierenden Kraft von Biodiversitätsnarrativen verfolgt es das Ziel, Schlüsselerkenntnisse für die zukünftige Kommunikation von Biodiversität und ihrem Schutz zu identifizieren.
Das Projekt untersucht zunächst im wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurs, wie Biodiversität dargestellt und ihr Schutz legitimiert wird. Ein besonderer Fokus wird darauf gelegt, wie sich der Diskurs wissenschaftlich und gesellschaftlich im deutschsprachigen Kontext etabliert hat. In einem zweiten Teil wird analysiert, wie der Biodiversitätsdiskurs Eingang in die literarischen Texte findet und welche Transformationen er dort erfährt. Dadurch werden die ästhetischen Verfahren systematisiert, anhand derer Biodiversität erzählt wird - es wird jedoch auch möglich, die Machtverhältnisse innerhalb des Biodiversitätsdiskurses zu untersuchen und dessen hegemonialen Tendenzen kritisch zu diskutieren.
Um den weiteren Verlust der Biodiversität zu verhindern, ist es entscheidend, ein größeres Bewusstsein für die mit der Biodiversität und ihrer Erhaltung verbundenen Werte zu entwickeln. Das Projekt trägt dazu bei, indem es die ethischen, ästhetischen und affektiven Dimensionen der Biodiversitätsnarrative aufdeckt, die zur Förderung der Transformation erzählt werden. Auf dieser Grundlage entwickelt es einen soliden theoretischen Rahmen für die zukünftige Biodiversitätskommunikation, um die Geschichten für die Transformation, die wir erreichen wollen, besser zu definieren.