Navigation auf uzh.ch
Organisation: Prof. Dr. Sophie Witt, Deutsches Seminar, und Gesa Schneider, Literaturhaus Zürich.
«Dieses Zwingen und Würgen der Wirklichkeit, damit sie das Imaginäre, das Utopische, das Zukünftige ausspuckt: Das ist für mich realistische Kunst.»
Er gilt als einer der einflussreichsten und interessantesten, aber auch umstrittensten und skandalösesten Künstler unserer Zeit: Im Herbst 2022 wird Milo Rau die Zürcher Poetikvorlesung halten. An drei Abenden im November spricht er zu den ästhetischen und gesellschaftspolitischen Grundfragen seines künstlerischen Schaffens.
Milo Rau geboren 1977 in Bern, ist Theaterregisseur, Filmemacher, Aktivist, Autor und seit der Saison 2018/19 Intendant des NTGent (Belgien). Seit 2002 veröffentlichte er über 50 Theaterstücke, Filme, Bücher und Aktionen und wurde vielfach preisgekrönt. Rau und sein International Institute of Political Murder (IIPM) haben in den letzten fünfzehn Jahren die Ästhetik des zeitgenössischen Theaters mit zahlreichen aufsehenerregenden Produktionen geprägt. Seit der Gründung konzentriert sich das IIPM auf die multimediale Bearbeitung historischer oder gesellschaftspolitischer Konflikte: Unter anderem holte die Produktionsgesellschaft die Erschiessung des Ehepaars Ceausescu («Die letzten Tage der Ceausescus»), den ruandischen Völkermord («Hate Radio») und den norwegischen Terroristen Anders B. Breivik («Breiviks Erklärung») auf die Bühne, boxte per Theaterperformance das Ausländerstimmrecht ins Parlament einer Schweizer Stadt («City of Change»), hob 2013 mit zwei mehrtägigen Justiz-Spektakeln («Die Moskauer Prozesse» und «Die Zürcher Prozesse») ein völlig neues Theaterformat aus der Taufe. Zuletzt sorgte das IIPM mit den international gefeierten Produktionen wie «Five Easy Pieces» (2016), «General Assembly» (2017), «Die Wiederholung» (2018) und «Das Neue Evangelium» (Film 2020) für Aufsehen.
Raus Schaffen steht in der Tradition engagierter Kunst. Aber sein Anliegen ist nicht als Dokumentarismus misszuverstehen. Denn es geht nicht, so unterstreicht Rau, um eine «Reproduktion der grässlichen und deprimierenden Wirklichkeit», und auch nicht um die «kleinbürgerliche Skandalsucht» am politischen Konflikt. Die künstlerisch-politische Grammatik Raus gruppiere sich um den Konjunktiv: Statt der Wahrheit des Gewesenen die Kritik des angeblich «Unmöglichen» und «Unveränderlichen», der «Starre einer als alternativlos behaupteten Gewalt oder Unterdrückung» (Carolin Emcke). Und so wird Theater, wird Kunst als öffentlicher Raum befragt, als Ort der Verantwortung, an dem der ästhetische als politischer Akt in Erscheinung tritt.
«'Die Fenster des Himmels stehen weit offen', heißt es in einem religiösen Lied. Das Theater, so denke ich, kann diese Fenster einen Spalt weit öffnen. Und auch wenn sie gleich wieder zugeschlagen werden: Man hat den Himmel kurz gesehen.»
Aber wie genau ist das zu erreichen, mit welchen künstlerischen Methoden? Von dieser Frage nehmen die drei Vorlesungen ihren Ausgang und schreiten von den einfachen Fragen nach Darstellungsstrategien und Einflüssen hin zu den komplexen Ideen einer ganzheitlichen Kunstpraxis, etwa im Sinne von Joseph Beuys oder Donna Haraway.
Moral und Paralyse. Über die totale Gegenwart (03.11.2022)
Einführung: Sophie Witt
Lob des Extremismus. Eine kurze Geschichte der Revolte (10.11.2022)
Einführung: Cornelia Pierstorff
Die Rückeroberung der Zukunft. Der kommende Aufstand (16.11.2022)
Einführung: Frauke Berndt
Poetikvorlesung:
3., 10. und 16. November 2022, jeweils von 20-22 Uhr;
Veranstaltungsort: 03.11. Schauspielhaus Zürich, 10.11.2022 Literaturhaus Zürich; 16.11.2022 Kunsthaus Zürich.
Werkstattgespräche im Begleitseminar:
4., 11. und 18. November 2022, jeweils von 10.15-12 Uhr, am Deutschen Seminar