Poetikvorlesung 2014 Georg Klein "Scheitern! Durchhalten! Triumphieren!"

«Literaturerfahrung, wie sie mir – beim Lesen wie beim Schreiben – als Ideal vorschwebt, ist ein ernsthaftes Spiel. Dieses Spiel folgt vorgegebenen Regeln und ist dennoch nie restlos auszurechnen. Gerade der in einem Genre geübte Leser erlebt den schönsten Lesemoment dann, wenn sein routiniertes Bescheidwissen durch das unwillkürliche Spiel der eigenen Fantasie jählings aufgehoben wird. Die totale Kontrolle über die Machart eines Textes führt dagegen letztlich zu einem gelangweilten Zynismus. Das Andere, das unverhoffte Glück der Überraschung, diesen verstörenden Selbstkuss des kreativen Systems, muss der Lesende allerdings auch aushalten können. Man sagt, die Kindheit eines Menschen sei vollends verstrichen, sobald er die Fähigkeit zum kindlichen Spiel unwiederbringlich verloren habe.»

Mit einer Geschichte über eine Bahnreise-Bekanntschaft und eine gestohlene Aktentasche führte Georg Klein den Zuhörenden ihre Lust an «Action-Exzessen» und «brachialem Handeln» vor Augen. Auch aus seiner Faszination für Gewalt und der Verlockung der Leserschaft ein gebanntes: «Was geschah dann?» zu entlocken, machte Klein in seiner selbstironischen Rede kein Geheimnis. Jedoch mache nicht die Handlung, nicht die von Literaturkritikern gerne überschätzte minutiöse Beschreibung eine gute Geschichte aus, sondern das Wie des Erzählens, «das Beschreiben, das das Beschriebene vernichtet, profanisiert» und der Bruch mit der Erwartung des Lesers – letztlich der Mut des Erzählers zum grandiosen Scheitern. Georg Klein, 1953 in Augsburg geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Soziologie. 1998 debütierte er mit dem Roman Libidissi. Inzwischen hat der Autor zahlreiche Erzählungen und Romane veröffentlicht. Darunter Barbar Rosa (2001) und Roman unserer Kindheit (2010), für den er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. 2013 erschien sein Roman Die Zukunft des Mars. Klein lebt in Ostfriesland.