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«Musik also als das Vorszenario der Schrift, als der grosse Tonraum, dem die Schrift hinterherläuft, in mühsamem Staccato, höchstens getragen von der Wärme der Stimme.» «Auch das Schreiben kommt aus der Stille, und an seinem Anfang ist das ungeordnete Murmeln, das sich allmählich, wie ein lauter werdendes Rauschen von der Stille abhebt. Das innere chaotische Murmeln ist ein Wachwerden von Stimmen, aus einer weiten Ferne nähern sie sich [...].» «Noch heute [...] hat das Schreiben für mich etwas von diesem Geheimnis bewahrt, denn noch heute kommt es mir vor, als erlebte ich die Buchstaben sinnlich, wie glühende oder kalte, wie bedrohliche oder anschmiegsame Körper. Zuerst höre und sehe ich die Schrift, ich höre das Sprechen der anderen, meiner Umgebungen, als Klang, wie ich die Schrift empfinde als Rhythmus [...]».
Hanns-Josef Ortheil sprach in seinen Vorlesungen über die Übergänge vom Schweigen zur Musik sowie von der Musik zur Literatur. Seine Imaginations- und Erinnerungsräume seien von Rhythmen geprägt, die den Texten ihre eigene Form gäben. Er beschrieb sein Schreiben als «intensives Aufbauen und Anreichern von Bildern», die er anschliessend sprachlich zu trennen und zu begrenzen versuche.
Hanns-Josef Ortheil (*1951 in Köln) lebt heute in Stuttgart. Da Ortheils Mutter aufgrund einer Aphasie stumm war, begann er erst sehr spät zu sprechen. Wie diese sprachlose Welt sein heutiges Schreiben geprägt hat, beschreibt er in Das Element des Elephanten (1994). Daneben hat er zahlreiche Romane veröffentlicht, die nicht selten von Musikern oder dem Entstehen von Musikstücken handeln (u.a. Faustinas Küsse 1998; Die Nacht des Don Juan 2000; Das Verlangen nach Liebe 2007). Der einleitende Teil seiner Zürcher Poetikvorlesungen wurde unter dem Titel Die Prosa meines Vaters in Olaf Kutzmutz’ und Stephan Porombkas Erst lesen – dann schreiben (2007) veröffentlicht. Die Vorlesung selbst erscheint 2008 in Wie Romane entstehen, ein Buch, das Ortheil zusammen mit dem Lektor Klaus Siblewski geschrieben hat.