Navigation auf uzh.ch

Suche

Deutsches Seminar

Newsletter des Chapters GfdSL

Frühjahrsnewsletter 2025

Sicht auf die Fensterfront der Bibliothek am Deutschen Seminar.

Liebe Alumnae und Alumni, liebe Kolleg:innen

Sie alle sind Mitglieder des Alumnae/Alumni-Vereins «Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur», der mittlerweile ein Chapter von UZH-Alumni ist – und im Herbst haben wir gerade erst das 130-jährige Jubiläum unter dem Motto «Umbrüche» gefeiert. Bevor Sie diesem Verein beigetreten sind, haben Sie am Deutschen Seminar der Universität Zürich studiert oder fühlen sich diesem Seminar aus anderen Gründen zugehörig, weil es das öffentliche Leben in Stadt und Kanton seit fast 140 Jahren prägt. Dementsprechend hat das Deutsche Seminar viele ‹Stakeholder›, wie man so schön sagt: Personen und Institutionen, die ein klares Interesse am Deutschen Seminar haben.

Was aber sind heute die Rahmenbedingungen für ein solches Seminar? Das Fachgebiet der Germanistik (dasselbe gilt für andere Philologien) hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts herausgebildet. In Basel, Berlin, Jena, Leipzig oder Zürich konnten deutsche Sprachen und Literaturen studiert werden. Dabei bilden Sprache und Literatur die Kehrseiten einer Medaille: Literatur ohne Wissen über die Sprache und Sprache ohne Wissen über Literatur sind undenkbar. Wo, wenn nicht in literarischen Texten finden sich die Spuren älterer Sprachstufen, wie z.B. des Mittelhochdeutschen. Wie, wenn nicht mit Hilfe sprachwissenschaftlicher Modelle, beschreiben und verstehen wir deutsche Literaturen.

Im 20. Jahrhundert haben sich die Sprach- und Literaturwissenschaften in ihren Forschungsfragen ausdifferenziert. Tatsächlich haben sich Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft zu zwei eigenständigen Fachgebieten entwickelt, die mit unterschiedlichen Methoden verschieden angelegte Beiträge zu den drängenden Fragen unserer Gesellschaft leisten. Im 21. Jahrhundert wendet sich die Linguistik zunehmend quantitativen und empirischen Methoden zu, während die Literaturwissenschaft qualitative Methoden kulturwissenschaftlich erweitert. Die Linguistik sucht nicht selten die Nähe zu den ‹Sciences›, die Literaturwissenschaft versteht sich nach wie vor als Zentrum der ‹Humanities›. Zwei Fächer – zwei Kulturen!

Die Gretchenfrage an jedes Deutsche Seminar lautet daher: Nun sag, wie hast du’s mit dem Germanistischen? Seit den 1970er-Jahren gibt es immer häufiger Seminare oder Institute für allgemeine Linguistik. Kaum ein anglo-amerikanisches German Department hat heute noch linguistische Professuren (dasselbe gilt für andere Philologien), selbst wenn diese Seminare neben ‹Literatures› auch noch ‹Languages› in ihrem Namen tragen. Das hat damit zu tun, dass das historische Wissen über die deutschen Sprachen und deren Veränderungen traditionellerweise in der Älteren deutschen Literaturwissenschaft erforscht und gelehrt werden, während die Neuere deutsche Literaturwissenschaft rhetorische, poetologische, medien- und kommunikationswissenschaftliche Probleme behandelt. Tatsächlich ist es so, dass Deutsche Seminare an Universitäten auch dann eine wichtige Rolle spielen, wenn es dort auch eine Komparatistik gibt, in der das Fachgebiet der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft gelehrt wird. Denn das Fachgebiet der deutschen Literaturwissenschaft deckt den historischen Zeitraum von ca. 800 bis zur Gegenwart ab und beansprucht genau dafür eine institutionelle Basis.  

Das Deutsche Seminar der Universität Zürich verbindet Sprach- und Literaturwissenschaft, einschliesslich der Skandinavistik – ein Alleinstellungsmerkmal unserer Universität, so dass der englische Name auch «Department for German and Scandinavian Studies» lautet. Insgesamt sind bei uns – nach restrukturierenden Sparmassnahmen – derzeit 13 Lehrstühle unter einem Dach versammelt: zwei Professuren für Ältere deutsche Literatur, zwei für Skandinavische Literatur und fünf für Neuere deutsche Literatur. Für die Linguistik gibt es vier Professuren, die ihre Interessen und Ressourcen auch in das philologienübergreifende Linguistik Zentrum Zürich (LiZZ) mit seiner beeindruckenden Infrastruktur einbringen. Dort ist z.B. das gemeinsame Studienprogramm Linguistics für die Masterstudierenden angesiedelt; es wird ganz zeitgemäss auf Englisch angeboten.

Zentral ist die Verbindung der beiden Fachgebiete in den Studienprogrammen, die bei uns am Deutschen Seminar angesiedelt sind. Auf Bachelorstufe studieren alle Literatur und Linguistik. Auf Masterstufe profitieren nicht zuletzt diejenigen, die Lehrpersonen an Kantonsschulen werden möchten, von den methodisch verschiedenen Perspektiven der beiden Fächer, die sie dann in der Berufspraxis verbinden werden. Jenseits des generalistischen Studiums haben sich die Masterstudierenden in den vergangenen Jahren ansonsten mehrheitlich für einen literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt entschieden, u. a. auch in dem praxisorientierten Studienprogramm Deutsche Literatur: Theorie – Analyse – Vermittlung (TAV).

Und jetzt wollen Sie sicher wissen, wie ich es ganz persönlich mit dem ‹Germanistischen› habe? Die Antwort ist klar und einfach: Ich freue mich auf meine Zukunft als Forschende und Lehrende am Deutschen Seminar der Universität Zürich!

Frauke Berndt – Chapter-Präsidentin & Seminarvorsteherin

top

Retrospektive

Podium resp. Feier 130 Jahre GfdSL

Links Sabine Schneider hinter dem Podium, rechts eine Schachtel mit kleinen verpackten Geschenken und dahinter ein Blumenstrauss.

Am 31. Oktober 2024 haben wir das 130-jährige Jubiläum der GfdSL gefeiert. Nach einer festlichen Begrüssung bildete den Auftakt der Veranstaltung die Verleihung des GfdSL-Preises für exzellente Ba-Arbeiten. Er ging für das Jahr 2024 an Alina Jamilah Falch für ihre Forschung zu Ingeborg Bachmann (s. Prämiert). Frauke Berndt gab in ihrer Laudatio einen Einblick in den theoretischen Hintergrund der Arbeit, die einen Beitrag zum Antifaschismus leistet und damit gesellschaftlich höchst relevant ist. Auf dem diesjährigen Podium ging es um das Thema «Umbrüche», das die drei Referent:innen aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs des Deutschen Seminars spannend interpretiert haben: Dr. Björn Buschbeck skizzierte aus mediävistischer Perspektive, was nach Medienumbrüchen mit älteren Formen passiert, wenn sie materialiter oder semantisch wiederverwendet werden. Dr. Anatol Heller zeigte, welche Rolle Umbrüche für die ästhetischen und sozialen Formen von Wilhelm Buschs Bildergeschichten – Comics avant la lettre – spielen. Und Dr. Hiloko Kato führte in einer tour de force durch die Umbrüche in der linguistischen Theoriegeschichte. In der anschliessenden Podiumsdiskussion diskutierten die drei mit dem Publikum Aspekte ihrer Beiträge.  

Den Höhepunkt des Abends bildete die Performance von Pedro Lenz. Er ist, spätestens seit Erscheinen seines ersten Romans «Der Goalie bin ig» (2010), den Sabine Boss 2014 verfilmt hat, eine Legende. Lenz ist seit Ende der 1990er Jahre freier Schriftsteller, arbeitet mit Theatern und allen möglichen kulturellen Einrichtungen zusammen, hat zahlreiche Preise bekommen, u.a. für verschiedene Poetry Slams, und jüngst im vergangenen Jahr den internationalen Jonathan-Swift Preis für satirische und komische Literatur. Für Studierende des Deutschen Seminars, die sich in ihren Abschlussarbeiten und Doktorarbeiten immer öfter mit Mündlichkeit und Mundart sowie der schweizerischen Spoken-Word-Bewegung auseinandersetzen, ist die von Pedro Lenz 2003 gegründete Autorengruppe «Bern ist überall» besonders wichtig. Hinreissend performt hat er vier Stücke aus seinem neuen Buch: «Zärtlechi Zunge» (Der gesunde Menschenverstand: Luzern 2024): Sind Ihnen schon einmal die Schilder mit den Babynamen aufgefallen, wenn Sie über Land fahren? Was sind die Gedanken eine Joggerin? Welche Dramen bietet der Kinderspielplatz? Und warum streiten Paare vor allem über das, was nicht passiert ist?

top

«Sexualisierte Gewalt lesen». Wild Card-Wochenende im Literaturmuseum Strauhof (17.-19.01.2025)

Die Diskussionsrunde im Strauhof ist konzentriert dabei.

Welchen Beitrag leistet die Literatur für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt? Die von Dr. Cornelia Pierstorff kuratierte Veranstaltungsreihe im Literaturmuseum Strauhof ging dieser Frage in ganz verschiedenen Formaten nach. Das titelgebende Lesen von Gewalt war dabei doppelt leitend: Es ging zum einen darum, die Gewalt als historisch und kulturell spezifisches Interpretationskonstrukt in den Blick zu nehmen, zum anderen darum, literarische Texte als privilegierten Zugang zu diesem Konstrukt zu erschliessen.

Eröffnet wurde das Wochenende von einer Lesung und einem Gespräch mit Laura Leupi («Das Alphabet der sexualisierten Gewalt», März-Verlag, 2024) am Freitagabend. Samstagnachmittag brachten drei Gespräche zwischen je drei Personen aus Literaturwissenschaft, Literaturkritik und Kulturbetrieb literarische Texte miteinander in den Dialog. Die Texte, die auf diese Weise zum Sprechen gebracht wurden, umfassten feministische Klassiker seit den 1970er Jahren wie Verena Stefans «Häutungen» oder Elfriede Jelineks «Über Tiere», internationale Bestseller wie Kristen Roupenians «Cat Person» oder Carmen Maria Machados «Das Archiv der Träume», aber auch aktuelle deutschsprachige Neuerscheinungen von 2024 wie Ruth-Maria Thomas’ «Die schönste Version» oder Çiğdem Akyols «Geliebte Mutter». Den Abschluss am Sonntag bildete die Praxis des kollektiven Lesens mit einem inzwischen in Zürich fest etablierten Format: einem Silent Reading Rave.

Räumlich gerahmt wurde die Veranstaltungsreihe von der Installation «A room of one’s own» der Schweizer Künstlerin und Autorin Jessica Jurassica. Sie teilt darin ihre intensive Recherche- und Textarbeit der vergangenen Jahre zu patriarchaler Gewalt und deren Folgen. Interaktiv lud die Installation nicht nur in einen privaten Raum ein, sondern auch in einen Denk- und Schreibprozess. In Dialog mit dem privaten Gedächtnisraum der Installation trat der kollektive Gedächtnisraum in Form einer Auswahlbibliothek literarischer und theoretischer Texte aus der UB Germanistik & Skandinavistik, die in Kürze als Ausstellung am Deutschen Seminar zu sehen sein wird.

top

Agenda

03.04.2025: Linguistik & VR: eine immersive Forschungsreise

Vier Personen mit VR-Brillen hüpfen und torkeln in einem grossen Raum.

Digitale Transformation und virtuelle Realitäten sind in aller Munde. An diesem Anlass laden wir Sie herzlich dazu ein, mit uns auf eine immersive Forschungsreise zu kommen und selbst zu erleben, ob und wie Virtual Reality (VR) unsere sprachliche Interaktion verändert. Kurze Inputs zu VR und zu der multimodalen Interaktionsforschung wechseln sich ab mit Hands-on-Phasen, wo wir Sie auf ihrer – vielleicht ersten – VR-Erfahrung begleiten. Single-Player-VR-Erfahrungen mit bekannten Spieltiteln wechseln sich ab mit innovativen Multiplayer-Spielen.
Erfahrung in VR oder mit digitalen Spielen sind nicht notwendig.
Die Teilnehmenden-Anzahl ist auf acht Personen beschränkt, um eine ideale Betreuung während der Hands-on-Phase zu gewährleisten.
Durchgeführt wird der Anlass von Dr. Hiloko Kato mit dem MEEET Lab-Team. Hiloko Kato forscht zusammen mit Prof. Noah Bubenhofer vom Deutschen Seminar am  MEEET Lab.

Bei grosser Nachfrage wird ein zweiter Termin organisiert (10. April).

Linguistik & VR: eine immersive Forschungsreise

Datum: Donnerstag, 3. April 2025 (bei grosser Nachfrage 2. Termin am 10. April)
Zeit: 17:00–19:00 Uhr
Ort: Rämistrasse 69, 8001 Zürich, SOC-105 Digital Library Space

top

09.04.2025: Absolvent:innenfeier 2025

Das Bild zeigt ein Foto-Portrait von Dorothea von Mücke

Am 9. April wird wieder gefeiert! Das Deutsche Seminar lädt die Bachelor- und Masterabsolvent:innen der letzten zwei Semester ein. Das Chapter unterstützt diese Feier seit Beginn, somit natürlich auch Sie, liebe Mitglieder. Wir hoffen auf viele neue Eintritte aus den Reihen der Bachelor- und Masterabsolvent:innen. Als Rednerinnen haben wir dieses Jahr Judith Keller, Alumna, und Seraina Walser, Absolventin, eingeladen. Der musikalische Rahmen wird aus dem Kreis der Stiftung Lyra kommen, die hochbegabte Musikerinnen und Musiker unterstützt.

top

28.06.2025: Linguistischer Spaziergang, Kanton Zug (mit Gabriela Bart und Beat Dittli)

Sanfte grüne Hügel im Kanton Zug.

Der diesjährige dialektologisch-namenkundliche Spaziergang führt uns in den Kanton Zug und durch die imposante Moränenlandschaft von Neuheim und Menzingen. Dr. Beat Dittli, Namenkundespezialist und Verfasser des Zuger Ortsnamenbuchs, erzählt uns auf dem rund einstündigen Spaziergang viel Spannendes zu den Orts- und Flurnamen in der einzigartigen Hügellandschaft auf dem Hochplateau von Menzingen.

Nach dem Spaziergang folgt ein kurzes Referat von Dr. Gabriela Bart, Redaktorin am Schweizerischen Idiotikon, zu den Dialekten des Kantons Zug. Der Anlass schliesst mit einer Einladung zu Kaffee und Kuchen in einem Restaurant in Menzingen.

Linguistischer Spaziergang, Kanton Zug

Datum: Samstag, 28. Juni 2025
Zeit: 14:00–17:00 Uhr, Start der Wanderung 14:15 Uhr, Bushaltestelle Neuheim, Hinterburg
Treffpunkt: Bahnhof Baar (Kante C). Wir nehmen um 14:04 Uhr den Bus B 632 Richtung Menzingen, Moosstrasse

Bitte lösen Sie das Billett bereits im Voraus.

Link zur Anmeldung.

top

DS International

Tokio, Osnabrück, London, Hamburg und Chicago – ein reicher Austausch am DS

Mächtig was los am DS: Ein Kommen und Gehen! Zunächst einmal begrüssen wir Prof. Dr. Elena Shadrina von der Waseda Universität in Tokio, die im FS 2025 als Gastforscherin am Deutschen Seminar tätig ist. Sie ist Ökonomin an der Faculty of International Research and Education in der School of International Liberal Studies und forscht u.a. zu Diskursen in Politik und Wirtschaft rund um die Energiewende. Daher ergeben sich gemeinsame Forschungsinteressen mit Noah Bubenhofer, sowohl inhaltlich als auch methodisch. Seinen Aufenthalt als Feodor Lynen Fellow der Alexander von Humboldt Stiftung setzt Prof. Dr. Jan-Noël Thon von der Universität Osnabrück im Sommer 2025 fort. Er wird in dieser Zeit die Arbeit an seinem Forschungsprojekt zur postdigitalen Ästhetik abschliessen. Zum Abschied wird seine Gastgeberin Frauke Berndt im Juli einen internationalen Workshop veranstalten. Unsere Nachwuchswissenschaftler:innen zieht es wiederum in die Ferne: PD Dr. Demian Berger war im HS 2024 Gastdozent an der Queen Mary University in London. Dr. Cornelia Pierstorff war in den vergangenen Monaten zu Gast am Institut für Liberal Arts & Sciences an der Universität Hamburg und hat dort die Winter School «Vulnerable Gegenwart: Diskurse, Theorien, Ästhetiken» gehalten. Dr. Philipp Striedl hat im FS 2024 an der University of Chicago an seinem Projekt «Variantenpragmatik des Deutschen (www.variprag.net)» geforscht. Wenn im FS 2025 Davide Ventre im Rahmen seines Dissertationsvorhabens zu «Kontroverse Diskurse» die Waseda Universität in Tokio besuchen wird, dann hat sich der Inbound-Outbound-Kreis für dieses Jahr geschlossen.

Prämiert! Neues vom Nachwuchs am DS

Claudia Keller erhält SNF Starting Grant

Foto-Portrait von Alexandra Lüthi.

Dr. Claudia Keller hat vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) einen Starting Grant erhalten:

Narrating Variety: Biodiversity as Paradigm of Transformation in Science and Literature

Ein ebenso exzellentes wie relevantes Forschungsvorhaben zur Biodiversität wird Claudia Keller ab 2026 am Institut für Environmental Sciences and Humanities der Université de Fribourg durchführen. Das Projekt untersucht wissenschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Biodiversitätsnarrative und analysiert, wie Biodiversität dargestellt und als ein ethischer, ästhetischer und affektiver Wert legitimiert wird. Besonderer Fokus liegt darauf, wie das Konzept sich im deutschsprachigen und Schweizer Kontext etabliert hat. Das Ziel ist es, auf der Grundlage dieses literaturwissenschaftlich fundierten Verständnisses von Biodiversitätsnarrativen Einsichten und Empfehlungen für die zukünftige narrative Biodiversitätskommunikation zu gewinnen.

top

Alina Jamilah Falch erhält Preis für exzellente Ba-Arbeit – und Semesterpreis der UZH!

Foto von Livia Sutter.

Der Preis für exzellente Ba-Arbeiten, den die GfdSL jährlich vergibt, ging für das Jahr 2024 an Alina Jamilah Falch. In ihrer Bachelorarbeit verbindet sie philosophische und literaturtheoretische Ansätze, die sie narratologisch operationalisiert: «Sprachgrenzen und Grenzsituationen in Ingeborg Bachmanns Der Fall Franza».

In Der Fall Franza entwirft Bachmann eine Erinnerungsarchäologie, in der Zeitgeschichte (ca. Mitte der 1930er Jahre bis 1964) und fiktive Biographie der Protagonistin aufeinander abgebildet werden. Dabei wird die äussere Handlung – Franza (Franziska Jordan) flieht aus einer Klinik in der Nähe von Wien in ihre Heimat Galizien und reist mit ihrem Bruder Martin nach Jordanien und Ägypten (dort stirbt Franza nach einer Vergewaltigung) – zum Schauplatz der inneren Handlung. Die Textanalyse verfolgt geduldig Bachmanns komplexe Introspektionen. Wichtig ist die Ba-Arbeit deshalb, weil sie zu einer historischen Differenzierung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beiträgt. Dabei ist die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte – der Roman kodiert Faschismus, Nationalsozialismus und Holocaust – heute, im Zeichen neu aufkeimenden Antisemitismus’ in den westlichen Demokratien, von grösster gesellschaftlicher Relevanz.

Mit ihrer herausragenden Ba-Arbeit erhielt Alina Jamilah Falch zudem den Semesterpreis der UZH im FS2024.

top

Shana Fehr erhält ZAZH-Preis für die beste Ma-Arbeit 2024 «Nachhall der Echo. Die Mythopoetik der Echo-Figur in Ovids Metamorphosen und Christoph Ransmayrs Die letzte Welt»

Foto von Shana Fehr und Philipp Theisohn in der Aula.

Es ist erfreulich, dass das ZAZH (Zentrum Altertumswissenschaften Zürich) in diesem Jahr mit Shana Fehr eine derjenigen auszeichnet, die über die Doppelbegabung verfügt, sich sowohl auf dem Gebiet der antiken als auch auf dem Feld der gegenwärtigen Literatur souverän bewegen zu können. Ihre ausgezeichnete Masterarbeit, die das sich in der Echo-Rede entfaltende poetische Potential erkundet, dieses einerseits von seinen Ursprüngen in Ovids Metamorphosen, andererseits von seinen postmodernen Brechungen in Christoph Ransmayrs Die letzte Welt zu lesen versucht, stellt diese Begabung mehr als deutlich unter Beweis. Fernab einer blossen Motivgeschichte legt Shana Fehr in ihrer Arbeit frei, wie der Echo-Mythos letzten Endes das Kernprinzip des mythischen Erzählens überhaupt in sich fasst. Die Wiederholung des einmal Gesprochenen bei gleichzeitiger Entpersönlichung der Rede, die Verschiebung der Worte aus ihrem angestammten Kontext, die leichte Manipulation des Lautmaterials, die eine diesem eingeschriebene Bedeutung erst freisetzt: Das ist μυθειν.

Zugleich arbeitet Shana Fehr dabei heraus, wie diese Vorgänge, die das europäische Erzählen von unten her strukturieren, immer mit Versteinerungen der Sprache einhergehen, wie aus Stimme Landschaft wird, wie – um die Verfasserin zu zitieren – die «Metapher eigentlich wird». Eine echte, grosse, interdisziplinäre Forschungsleistung ist das, belesen, innovativ, oft überraschend, kurzum: klug. Und zu Recht wird sie ausgezeichnet. 

top

Lektüretipps

Das Bild zeigt drei Buchumschläge der beschriebenen Lektüretipps.

Ältere Literatur: Wolf von Niebelschütz: Ein Geisterfrühstück. Divertimenti & Impressionen, Variationen & Übertragungen, nebst einem Faksimile mit Gedichten des Autors, hg. von Wolfram Benda, Berlin 2024 (Die Andere Bibliothek 460). 

Für altgermanistisch Interessierte ist Wolf von Niebelschütz (1913–1960) meist kein Unbekannter. Seine beiden Romane Der blaue Kammerherr (1949) und Die Kinder der Finsternis (1959) versuchen, sich Erzählstrukturen, Sprach- und Denkfiguren des Barock bzw. Hochmittelalters aus der Position einer literarischen Moderne heraus anzuverwandeln. Sperrige und voluminöse Texte, deren Lektüre Zeit erfordert und die in der deutschen Nachkriegsliteratur recht abseitig für sich stehen.

Alle, die es kürzer mögen, können sich dagegen über das jüngst erschienene Geisterfrühstück freuen, das Dutzende kürzerer Texte aus Niebelschütz’ nachgelassenen Typoskripten erstmalig veröffentlicht. Der Band erweist sich als echte Fundgrube: Von kurzen Erzählungen über humorige Essays, darunter eine Apologie der Unordnung auf dem Schreibtisch, bis hin zu literaturtheoretischen Aufsätzen und lyrischen (Nach-)Dichtungen kann hier vieles erstöbert werden. Besonders lesenswert sind neben der titelgebenden Kurzgeschichte z.B. die Vorträge Der Barock und Über epische und dramatische Dichtung.  

Gemeinsam ist den versammelten Stücken der Versuch, sich historische Sprach- und Schreibkonventionen, die oft der Literatur der Frühen Neuzeit entstammen, neu anzueignen. Besonders die vor 1945 datierenden Texte, so beispielsweise das am barocken Brief orientierte Schreiben eines Fürsten an seine Bücher, betreiben solche Rückbezüge auch als betonte Distanzierung vom durchideologisierten Sprachgebrauch des nationalsozialistischen Literaturbetriebs. In der bibliophilen Ausstattung der Anderen Bibliothek bietet sich das Geisterfrühstück zudem als Geschenk an – ob man das Buch nach erstem Hineinlesen jedoch noch weggeben möchte, bleibt fraglich.

Link zum Buch

top

Linguistik: Heiko Hausendorf: Kopräsenz. Über das soziale Zuhause von Sprache. Bielefeld 2024.

Wann immer wir mit anderen zusammenkommen, befinden wir uns wie selbstverständlich in Kopräsenz. Aber was genau bedeutet es, «zusammen» zu sein? Erfordert es immer physische Anwesenheit oder ist Kopräsenz auch anders möglich? Angesichts des rasanten Wandels moderner Kommunikationstechnologien räumt Heiko Hausendorf mit einigen Mythen auf und wirft einen Blick auf die Entstehung und die Zukunft von Kopräsenz. Diese ist konstitutiv für die Menschwerdung und bildet bis heute den Nährboden für die Entstehung von Sprache – was die Beschäftigung mit Kopräsenz auch weit über die Linguistik hinaus für alle interessant macht, die sich für soziale Interaktion interessieren.

Link zum Buch (auch als Open Access)

top

Neuere Literatur: ​​​​Ursula Caflisch-Schnetzler: Johann Caspar Lavater. Beziehungsgenie. Basel/Berlin 2024.

Die Erforschung der schweizerischen Aufklärung ist besonders wichtig, weil die Denkenden und Kunstschaffenden die europäische Aufklärung massgeblich prägen. Das Projekt Johann Caspar Lavater, in dem Ursula Caflisch-Schnetzler seit langem forscht, erschliesst das Werk des Zürcher Theologen und Philosophen. Bei Lavater kennt sich niemand so aus wie sie. Derzeit leitet sie zusammen mit Davide Giuriato vom Deutschen Seminar die digitale Edition der Briefwechsel. Bereits vor zwei Jahren hat Ursula Caflisch-Schnetzler in Zürich bei NZZ Libro den ersten Band der Biographie veröffentlicht: «Johann Caspar Lavater. Jugendjahre. Vom Wert der Freundschaft». Nun ist der der zweite Band im Schwabe Verlag erschienen: «Johann Caspar Lavater. Beziehungsgenie». Beide Bände können auf bisher noch unbekannte Text- und vor allem Briefquellen des Zürcher Theologen und Philosophen zurückgreifen.  

Lavaters Social Media bestehen aus einem dichtgeknüpften Netz an Korrespondenzen, das Zürich mit der europäischen Gelehrtenkultur und Lavater mit allem, was in der mittleren und späten Aufklärung Rang und Namen hat, verbindet. Er korrespondiert mit Dichtern und Dichterinnen wie Johann Wolfgang Goethe oder Friederike Brun, mit Philosophen wie Moses Mendelssohn oder Immanuel Kant, mit Künstlern wie Johann Heinrich Wilhelm Tischbein oder Carl Philipp Emanuel Bach. Lavater gibt den Ton in der Diskussion neuer ästhetischer und sozialer Formen an, mit denen das Bürgertum moralisch gegen die höfische Kultur mobil macht, um eine eigene Wertegemeinschaft zu bilden. Ein Beziehungsgenie ist Lavater nicht nur deshalb, weil er so viel zu sagen hat, sondern weil er damit in die zeitgenössischen Debatten und Kontroversen interveniert – und epistolare Politik macht.

Link zum Buch

top

Denkbilder: Das Germanistikmagazin der UZH

Mehrerer Hefte der neuen Nummer der Denkbilder liegen auf einem runden Tisch. Es ist dunkel im Raum.

Im Dezember 2024 ist die 55. Ausgabe des Literaturmagazins «Denkbilder» zum Thema «Schauer» erschienen. Die Vernissage fand am 18. Dezember 2024 im Cabaret Voltaire statt.

Das neue Heft erscheint im Juni 2025 zum Thema «Scharf».

Link zur Website der «Denkbilder» | Link zum Kauf einzelner Ausgaben

top

Verabschiedungen

Abschiedsvorlesungen von Christa Dürscheid und Heiko Hausendorf (17.12.2024)

Am 17. Dezember hielten Christa Dürscheid und Heiko Hausendorf ihre Abschiedsvorlesungen und besiegelten damit das Ende einer linguistischen Ära am Deutschen Seminar. In der mit namhaften Vertreter:innen der internationalen Germanistik voll besetzten Aula der Universität Zürich gelang es beiden, die Rückblicke auf ihre beeindruckenden Forschungskarrieren in origineller Manier mit dem Thema «Aufhören» zu verbinden.

Christa Dürscheid gab unter dem Motto «Vom Schreiben, Posten und Aufhören» einen pointierten Überblick über ihr reichhaltiges Forschungsportfolio. Die Schlaglichter lagen dabei einerseits auf der Schriftlinguistik, die sie mit grundlegenden Beiträgen nachhaltig mitgeprägt hat, und auf der Variantengrammatik, mit der sie sich nicht nur akademisch, sondern auch mit täglichen Posts auf Social Media auseinandersetzt. Den Bogen zum Thema «Aufhören» schlug sie letztendlich über das kurz vor dem Abschluss stehende internationale Projekt «Variantenpragmatik des Deutschen», in dem unter anderem der Gebrauch von Gruss- und Schlussformeln untersucht wird.

Heiko Hausendorf widmete sich in seiner Vorlesung unter dem Titel «Mit dem Aufhören anfangen» einem der zentralen Themen der von ihm nachhaltig geprägten Interaktionslinguistik: der Beendigung von Gesprächen. Ausgehend vom konversationsanalytischen Klassiker «Opening up Closings» zeigte er, welche musterhaften Mechanismen von Gesprächsteilnehmer:innen eingesetzt werden, um das Ende von Interaktionen herbeizuführen. Sein Beitrag an die Forschung lag insbesondere darin, zu zeigen, wie diese rekursiven Beendigungsverfahren mit räumlichen Sedimenten der Interaktion verschränkt sind. Die komplexe Struktur dieses Zusammenspiels ist in mehreren Forschungsprojekten intensiv untersucht worden – nicht zuletzt im von Hausendorf ins Leben gerufenen universitären Forschungsschwerpunkt «Sprache und Raum».

Die GfdSL dankt Christa Dürscheid und Heiko Hausendorf für ihr vielseitiges Wirken am Deutschen Seminar, das der Zürcher Linguistik zu internationalem Ansehen verholfen hat.

top

Nachruf Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Alois Maria Haas, emeritierter Professor für Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700

Verstorben am 12. Januar 2025 im 91. Lebensjahr.

Weit über die Grenzen des Faches hinaus als Kenner und Interpret mystischer Denk- und Texttraditionen bekannt, hat Alois Haas als inspirierender Lehrer und Forscher von 1971 bis 1999 deutsche Literatur vom Mittelalter bis zur Zeit des Barocks am Deutschen Seminar der Universität Zürich unterrichtet. Sein Stil war geprägt nicht nur von genauer und historisch präziser Textlektüre, sondern von einem offenen Geist intellektueller Neugier, des unersättlichen Lesens, der Lust am Text, und einer undogmatischen und genuin interdisziplinären Faszination an der Theologie der Mystik und ihrer sprachlich-poetischen Ausdrucksformen.  

Lesen Sie den ganzen Nachruf von Claudia Brinker und Niklaus Largier hier.

top

Neues vom DS

Kathia Kohler ist neues Mitglied des Chapters GfdSL

Foto von Kathia Kohler

Dr. Kathia Kohler ist seit dem 1. Januar 2025 Mitglied der Chapter-Leitung. Sie begann 2019 ihr Promotionsstudium an der Universität Zürich im Rahmen eines SNF-Stipendiums mit einem Projekt zur Literatur der Frühen Neuzeit. Ein Forschungsaufenthalt an der New York University sowie ein anschliessender Wechsel auf eine Assistenzstelle in der Älteren deutschen Literatur führten sie 2024 zum erfolgreichen Abschluss ihrer Dissertation. Aktuell setzt sie ihre Forschung als Postdoktorandin in der Älteren deutschen Literatur fort und vertritt seit Anfang 2025 die Seminar-Oberassistenz der Abteilung.

top

Anja Hasse erhält Zusage für das SNF-Agora-Projekt: «Raising Awareness of Linguistic Diversity» 

Anja Hasse lächelt in die Kamera.

Prof. Dr. Anja Hasse hat im Januar 2025 mit ihrem Team die Arbeit am Agora-Projekt «RALD – Raising Awareness of Linguistic Diversity» aufgenommen. Innerhalb von 20 Monaten werden im Rahmen dieses Citizen-Science-Projekts mit einer App schweizerdeutsche Daten erhoben und diese in Workshops an sechs verschiedenen Standorten in der Deutschschweiz ausgewertet.

Vielen Leuten in der Deutschschweiz sind Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialekten durchaus bewusst, die meisten Beobachtungen betreffen allerdings den Wortschatz. Die schweizerdeutschen Dialekte unterscheiden sich jedoch auch in ihrer Grammatik, so braucht man beispielsweise in der westlichen Deutschschweiz «Münz für es Billet z lööse», in der östlichen Deutschschweiz hingegen eher «zum es Billet lööse». In Zürich gibt man das Futter «de Chatz», in Luzern eher «a de Chatz». Mit der App «nöis gschmöis», die im Sommer 2025 erscheinen wird, erhebt Anja Hasse zusammen mit einem Team von Dialektologinnen und Dialektologen der Universitäten Zürich und Bern, des Idiotikons und des Instituts für Kulturforschung Graubünden Daten zu diesen und anderen grammatischen Phänomenen des Schweizerdeutschen. Die so gewonnenen Daten werden in Workshops mit Gymnasiastinnen einerseits und mit interessierten Bürgern andererseits gemeinsam ausgewertet. Diese Workshops verfolgen zwei Ziele: Die Bevölkerung erhält einen Einblick in die dialektologische Forschung und die am Projekt beteiligten Dialektologen erfahren, welche Fragestellungen die Bevölkerung besonders interessieren. Damit möglichst viele Leute von diesem Projekt profitieren, wird weiter eine intensive Zusammenarbeit mit Lokalmedien angestrebt, die von Janine Gloor, Journalistin und Alumna des Deutschen Seminars, koordiniert wird.

Anja Hasse hat in Zürich und Uppsala Skandinavistik, Germanistische Linguistik und Vergleichende Germanische Sprachwissenschaften studiert. Nach Forschungsaufenthalten an der Università degli studi dell’Aquila und an der University of Surrey hat sie 2018 in Zürich promoviert. Seit 2024 ist sie SNF-Förderungsprofessorin am Deutschen Seminar.

top

Editionsprojekt «Friedrich Dürrenmatt – Briefe» 

Handschriftenprobe von Friedrich Dürrenmatt

Das Editionsprojekt «Friedrich Dürrenmatt – Briefe» gilt der erstmaligen systematischen Sichtung und Auswertung der Briefbestände Dürrenmatts, die sich grösstenteils im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) befinden. Ziel ist die Publikation einer kommentierten Print-Ausgabe ausgewählter Briefe und Briefwechsel im Diogenes Verlag (Zürich). Als eminente Ego-Dokumente bieten die Korrespondenzen Dürrenmatts gleichermassen Aufschluss über seine Selbstwahrnehmung und -darstellung, über sein Netzwerk innerhalb des Kulturbetriebs und den autorspezifischen Umgang mit dem Briefmedium und seinen (auch literarischen) Möglichkeiten.

Das Projekt startete am 1. September 2024, ist am Lehrstuhl von Prof. Dr. Philipp Theisohn angesiedelt und wird durch einen wissenschaftlichen Beirat begleitet. Die Grundfinanzierung des Projekts erfolgt durch die Charlotte Kerr-Dürrenmatt-Stiftung (Bern).

Habilitationen und Personelles

Die Erweiterte Universitätsleitung hat Demian Berger  zum Privatdozenten für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft ernannt.

Marie-Luis Merten, Assistenzprofessorin für Digitalisierte Kommunikationsräume am Deutschen Seminar, hat einen Ruf auf die W3-Professur für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim erhalten.

Am 1. Februar 2025 startete Livia Sutter mit einem Candoc-Stipendium der UZH ihre Dissertation zum Thema «Identität und mediale Affordanz: Eine soziolinguistische Analyse der ersten homosexuellen Zeitschrift der Schweiz (1932–1942)».

Andreas Trotzke hat den Ruf auf die Nachfolge von Christa Dürscheid angenommen und wird am 1. August 2025 beginnen.

Elisabeth Zima hat den Ruf auf die Nachfolge von Heiko Hausendorf angenommen. Der Amtsantritt erfolgt am 1. September 2025.

Wir gratulieren!