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Deutsches Seminar

Newsletter März 2024

Sicht auf die Fensterfront der Bibliothek am Deutschen Seminar.

Liebe Alumnae und Alumni

Also wirklich: Da lese ich im Tagi vom 26. Januar 2024 Barbara Reyes Artikel «Ersetzt künstliche Intelligenz bald die Couch in der Psychotherapie?»: «Ob wir fröhlich, gelangweilt oder schlecht drauf sind, lässt sich mit emotionaler KI immer besser feststellen. Die Technologie könnte Therapiesitzungen entscheidend verbessern».

In unseren geschichtsvergessenen Zeiten ist etwas eine Schlagzeile, das seit Jahrhunderten das tägliche Brot der Kulturwissenschaften ist: die Codierung von Emotionen in Texten und Bildern. Bereits seit der Antike wird die menschliche Physiognomie erforscht. Im 18. Jahrhundert prägt der Zürcher Johann Caspar Lavater, der übrigens am Deutschen Seminar ediert wird, die Wissenschaft der Physiognomik – und dann geht es wissenschaftshistorisch durch einen Parcours mit mehr oder weniger (un)rühmlichen Stationen. Vor allem aber die Literatur hat erheblichen Anteil an der Codierung von Emotionen. In Goethes Werther wird 1774 die romantische Liebe erfunden, die wie alle anderen Emotionen auch kein Gefühl ist, sondern ein «symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium», wie es der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann ausdrückt. Jede Emotion wird zu historisch spezifischen Bedingungen trainiert, damit sie «gehabt» und «erkannt» werden kann. Wäre also echt schwach, wenn KI ausgerechnet hier versagen würde, wo die Datenlage so solide ist.

Doch Spass beiseite: KI stellt für Universitäten tatsächlich eine Herausforderung dar. Lassen Sie mich (ohne Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit) etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Woran erkenne ich eigentlich, ob eine Person in ihrer Hausarbeit KI verwendet hat, wenn sie die Verwendung nicht angibt (was übrigens ein ganz normaler Plagiatsfall wäre). Bisher war das einfach: Klauen hiess kopieren. Also haben wir Dozierenden einen dieser auffällig fehlerfreien Sätze, die aus dem Rest so wohlgeformt herausstachen, in Anführungszeichen gesetzt, bei Google eine Suche gestartet, und schon landeten wir auf der Website mit dem Original. Bingo. Mit KI ist das anders, weil KI neue, also originale Texte verfasst – jedenfalls dann, wenn die Datenlage gegeben und Prompts intelligent genug sind. Wie gehen wir Dozierenden damit um? Der erste Schritt ist Aufklärung: Im Gegensatz zu plagiierenden Personen sind sich Studierende, die KI verwenden, oft gar keiner Schuld bewusst. «Erwischt» werden sie aber aus den nämlichen Gründen: KI schreibt einfach besser. Hier könnte ein Ansatz der Aufklärung liegen zu fragen: Wollen Sie nicht wenigstens lernen so gut zu schreiben wie KI? Aber ich schlage einen anderen Weg vor: Warum nicht die studentischen Arbeitsaufträge so individualisieren, dass Readymades darin keinen Platz haben. Denn für die Fragen, die in unseren Fächern wirklich relevant sind, liegt auf der Hand: KI scheitert bei feingliedrigen Satz- oder Textanalysen in alten wie neuen germanischen Sprachen ebenso wie an einem Minnelied oder einem Prosastück von Robert Walser. So gut KI in der kreativen Rekonfiguration von Daten ist, so schlecht ist sie nämlich im Schreiben ohne Netz und doppelten Boden.

Am Deutschen Seminar ist Digitalisierung wegen solcher und anderer Probleme ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Die IT-Kommission organisiert regelmässig über Mittag Veranstaltungen unter dem Titel DS Digital. Ihr Vorsitzender Noah Bubenhofer ist derzeit nicht nur am Deutschen Seminar die Person, die hier den Überblick hat und uns in dieser komplizierten Sache berät, sondern er ist für seine Expertise schweizweit äusserst gefragt. Nicht nur KI ist immer wieder Thema (und wird es bleiben), sondern auch viele andere Bereiche, die nicht zuletzt für die Nachwuchswissenschaftler*innen am Deutschen Seminar wichtig sind, z.B. digitale Editionen. Wir sind also dran, bleiben dran – und KI hat mir super Dienste beim Verfassen meiner diesjährigen Weihnachtsansprache «im Stil von Alice in Wonderland» geleistet!

Frauke Berndt – Chapter-Präsidentin & Seminarvorsteherin

Retrospektive

Podium «Geschlechteridentitäten»

Das Foto die drei Referent:innen des Klima-Podiums: links Mireille Schnyder (sitzend), rechts daneben Boris Previsisc und ganz rechts stehend Noah Bubenhofer. Im Hintergrund die Präsentation zum Vortrag von Noah Bubenhofer.

Am 9. November 2023 fand das Podium der GfdSL statt. Thema war eines der grossen Probleme der Gegenwart: die Frage nach der Geschlechteridentität. Den Auftakt der Veranstaltung bildete traditionsgemäss die Verleihung des GfdSL-Preises für exzellente BA-Arbeiten. Er ging für das Jahr 2023 an Solange Jaël Véronique Morel für ihre Bachelorarbeit «Too unlucky to fail?» (s. Prämiert). Claudia Brinker-von der Heyde gab in ihrer Laudatio einen Einblick in die interdisziplinär aufgestellte Arbeit, die einen aktuellen Diskurs kritisch analysierend in den Blick nimmt: die öffentliche Diskussion um die staatliche Rettung der Credit Suisse.

Die anschliessenden Impulsvorträge widmeten sich dem Thema ‹Geschlechteridentitäten› aus unterschiedlicher Perspektive: PD Dr. Julia Frick präsentierte am Beispiel der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts (‹Frauendienst›), wie die festen Rollenmuster des Mittelalters im cross-dressing spielerisch infrage gestellt werden können. In einem kulturlinguistischen Zugriff analysierte Prof. Dr. Marie-Luis Merten die Mechanismen und multimodalen Entwürfe weiblicher Körper auf Instagram als Reflex und Reaktion auf aktuelle gesellschaftliche Körperdiskurse. Dr. Cornelia Pierstorff ging dem Thema am Beispiel ostdeutscher so genannter ‹Geschlechtertauschgeschichten› der 1970er-Jahre auf den Grund (Autorinnen: Sarah Kirsch, Irmtraud Morgner, Christa Wolf). Indem sie die Prozessualität von Geschlecht narrativ vorführen, stellen sie der Geschlechterbinarität einen Modus der Transition entgegen. In der abschliessenden Podiumsdiskussion liessen die Referent:innen den Abend in einem anregenden Gespräch mit dem Publikum zu Fragen nach den gesellschaftlich-medialen Konzeptualisierungen von Geschlechteridentitäten ausklingen.

Poetikvorlesung mit Peter Stamm

Das Bild zeigt Milo Rau an einem kleinen Tisch sitzend, auf der Bühne im Literaturhaus Zürich.

In seinen drei Zürcher Poetikvorlesungen vom Herbst 2023 sezierte Peter Stamm jene vielfachen Verstrickungen, die im Frühjahr des selben Jahres zum zeitgleichen Erscheinen seines Romans und eines Dokumentarfilms über ihn geführt haben: Der Roman In einer dunkelblauen Stunde handelt von einem Autor, der von einem Dokumentarfilmteam begleitet wird, und im Dokumentarfilm Wechselspiel – Wenn Peter Stamm schreibt zeigen Arne Kohlweyer und Georg Isenmann Gedächtnisorte und Schreibszenen von Peter Stamm. Welche Relevanz unter solchen Umständen die Unterscheidung von Fiktion und Realität noch haben kann – um diese Frage kreisen Peter Stamms poetologische Überlegungen. Seine Antworten gehen vom konkreten Material und vom realen Schreibprozess aus und zielen auf Ent-Täuschung. Weder autofiktional noch autobiographisch ist für Peter Stamm sein Schaffen: Es ist persönlich, so stellte er im die Poetikvorlesungen begleitenden Werkstattgespräch mit Studierenden des Deutschen Seminars klar.

Nahezu dokumentarisch hat Peter Stamm in den ersten beiden Poetikvorlesungen veranschaulicht, was in diesem Kunstprojekt wann und wie zu welchem Ergebnis geführt hat. Dabei hat das Zulassen von Zugefallenem das Schreiben des für seine messerscharfe Prosa bekannten Autors neu geformt und ein Entkommen aus der gut gebauten Erzählung versprochen. Er ist, so hat er in der zweiten Poetikvorlesung festgehalten, «ein Wanderer ohne Proviant», alles, was ihm einfällt, fliesst sofort in den Text. Kunst wird so zu einem Instrument, die Wirklichkeit klarer zu sehen. In seiner dritten Poetikvorlesung hat Peter Stamm diese Perspektive auf die aggressiven Untergründe geöffnet, die den schreibenden Weltbezug antreiben: «Schreiben heisst, die Welt zu fressen und zu verdauen».

Peter Stamms Zürcher Poetikvorlesungen sind im Januar 2024 bei Fischer unter dem Titel Eine Fantasie der Zeit als Buch erschienen. Darüber hinaus sind alle drei Veranstaltungen aufgezeichnet worden, Sie finden sie unter diesem Link

Enfants Terribles – Unheimliche Kindergeschichten

Eine interessierte Gruppe von 15 Personen besuchte unter der Führung von Prof. Dr. Klaus Müller-Wille am 12. September 2023 die Ausstellung «Enfants Terribles – Unheimliche Kindergeschichten» im Zürcher Strauhof. Die vielseitig gestaltete Präsentation informierte uns über das «wilde», «anarchische» und «bösartige» Kind, angefangen beim noch der Romantik zugehörigen «Nussknacker und Mausekönig» über die herrlich frechen «Struwwelpeter», «Alice im Wunderland» und «Pippi Langstrumpf» bis hin zu Kinofilmen, in denen das Kind – für den Berichterstatter kaum auszuhalten – die Rolle des todbringenden Monsters innehat. Das 200 Jahre umspannende Panoptikum kindlichen Ungehorsams, wie er notabene aus der Feder Erwachsener dargestellt wird, machte deutlich, wie relevant dieses Thema auch für die Gegenwartskultur ist.

Agenda

Gemeinsamer Vorstellungsbesuch im Schauspielhaus: «Blutstück», nach dem Roman von Kim de l’Horizon, Regie: Leonie Böhm

Das Bild zeigt eine Sommerlandschaft mit hellbraunen Feldern, sanften Hügeln und grünen Bäumen.

Wir freuen uns sehr, Sie am 11. April 2024 in Kooperation mit dem von Dr. Cornelia Pierstorff geleiteten Masterseminar «Ethik und Ästhetik der Vulnerabilität» zu einem gemeinsamen Vorstellungsbesuch im Schauspielhaus mit exklusiver Einführung mit kleinem Apéro sowie anschliessendem Publikumsgespräch einzuladen. Nicht als Romaninszenierung des vielbeachteten «Blutbuchs» (2022), sondern als eigenständige Performance ist das «Blutstück» ein kollektives Weiterschreiben und -spielen an zentralen Themen des Textes: Körperlichkeit, zwischenmenschliche Beziehungen, Gewalt uvm.

Datum: 11. April 2024
Zeit: 19.15 Uhr Einführung mit Apéro, 20.00 Uhr Vorstellungsbeginn
Ort: Schauspielhaus Zürich, Spielstätte Pfauen

Studierende sowie Alumnae und Alumni des Deutschen Seminars erhalten eine gesonderte Einführung mit kleinem Apéro im oberen Foyer; im Anschluss an die reguläre Vorstellung wird es darüber hinaus ein Publikumsgespräch geben.

Den Chaptermitgliedern stehen zehn Gratiseintritte zur Verfügung (Anmeldung über das Portal uzhalumni.ch bis zum 8. April), darüber hinaus sind alle weiteren Chaptermitglieder herzlich eingeladen, sich Einführung, Vorstellungsbesuch und Publikumsgespräch anzuschliessen.

Link zur Anmeldung

Bildnachweis: Schauspielhaus Zürich, Blutstück Foto: © Diana Pfammatter; auf dem Bild v.l.n.r. Gro Swantje Kohlhof, Kim de l’Horizon, Sasha Melroch, Lukas Vögler, Vincent Basse

Führung Spyri-Archiv April 2024

Das Bild zeigt ein Foto-Portrait von Cornelia Pierstorff

Seit mehr als einem Jahrhundert ist Heidi ein wichtiger Teil des Schweizer Kulturerbes und strahlt auf Kunst und Populärkultur in der ganzen Welt aus. Zum globalen Medienphänomen Heidi gehören auch zwei wertvolle Sammlungen in Zürich: Das Johanna Spyri-Archiv, das vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM, einem assoziierten Institut der Universität Zürich, betreut wird, sowie das Heidi-Archiv des Heidiseums.

Das Chapter lädt seine Mitglieder zu einer exklusiven Führung im Johanna Spyri-Archiv ein.  

Das Johanna Spyri-Archiv wurde von der Johanna Spyri-Stiftung, Trägerin des SIKJM, seit 1968 aufgebaut. Es stellt die weltweit umfassendste Sammlung zur Zürcher Autorin dar und enthält ausser dem literarischen Werk der Schriftstellerin mehr als 1000 handschriftliche Dokumente sowie Fotos, Originalillustrationen, Medien und eine umfangreiche Sammlung von fremdsprachigen Heidi-Ausgaben und wissenschaftlicher Literatur zur Autorin. Zum Archiv gehören auch persönliche Erinnerungsgegenstände von Johanna Spyri.

Memory of the World der UNESCO (2023): Das Johanna Spyri-Archiv im SIKJM            

Datum: 18. April 2024
Zeit: 18.00 Uhr
Führung: Dr. Maria Becker, wissenschaftliche Mitarbeiterin SIKJM
Ort: Schweizerisches Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM), Georgengasse 6, 8006 Zürich

Im Anschluss an die Führung lädt das Chapter zu einem kleinen Apéro ein. Die Teilnehmerzahl ist beschränkt.  Anmeldung bitte bis 15. April 2024.

Link zur Anmeldung

Linguistischer Spaziergang 2024

Der dialektologisch-namenkundliche Spaziergang führt dieses Jahr in den Kanton Aargau. Dr. Matthias Friedli, Redaktor am Schweizerischen Idiotikon und Deutschlehrer an der Neuen Kantonsschule Aarau, und Dr. Dieter Studer, Leiter des Phonogrammarchivs der Universität Zürich, führen in einem einstündigen Spaziergang am 15. Juni 2024 vom Bözberg, Mittlerer Hafen, nach Brugg. Der Anlass schliesst nach einem Vortrag zum Aargauer Dialekt mit Kaffee und Kuchen im Hotel Rothaus.

Datum: 15. Juni 2024
Zeit: Start der Wanderung 14 Uhr
Besammlungsort: Bahnhof Brugg, Kante A. Wir nehmen um 14.05 Uhr den Bus 372, Richtung Bözberg, Linn. Bitte lösen Sie das Billett bereits im Voraus.

Die Teilnehmerzahl ist beschränkt. Anmeldung bis 10. Juni 2024.

Link zur Anmeldung

Ankündigung Feier 130 Jahre GfdSL

Auf 130 Jahre schaut die «Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur» mittlerweile zurück. Dieses Jubiläum werden wir mit einem besonderen Podium und einem anschliessenden Apéro im Herbst 2024 gebührlich feiern. Ein «save the date» werden alle Mitglieder in den kommenden Wochen erhalten.

Prämiert! Neues vom Nachwuchs am DS

Solange Morel erhält Preis für exzellente BA-Arbeit

Das Bild zeigt ein Foto-Portrait von Marie-Luis Merten.

Der Preis für exzellente BA-Arbeiten, den die Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur (GfdSL) jährlich vergibt, ging für das Jahr 2023 an Solange Jaël Véronique Morel. In ihrer Bachelorarbeit verbindet sie Ansätze der Betriebswirtschaftslehre mit einer korpus- und diskurslinguistischen Methode: «Too unlucky to fail? Eine diskurslinguistische Analyse von Business Power am Beispiel der Credit Suisse-Rettung».

Ziel der interdisziplinär ausgerichteten Studie ist es, am Beispiel des staatlichen Eingreifens zur Rettung der Credit Suisse im März 2023 die politischen Entscheidungsprozesse und ihre Aushandlung im öffentlichen Diskurs versteh- und nachvollziehbar zu machen. In einer kritischen Analyse der öffentlichen Berichterstattung arbeitet S. Morel die Strukturen des Diskurses, ihre sprachlichen Muster und medialen Charakteristika heraus. Auf diese Weise kann sie das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Kriterien aufzeigen, die das öffentliche Bild der Credit Suisse massgeblich konturiert haben. Ihre Arbeit bietet damit einen entscheidenden Beitrag, der die Akzeptanz der staatlichen Credit Suisse-Rettung analytisch rekonstruiert und ihre diskursiv etablierten Bedingungen nachvollziehbar macht.

Anja Hasse erhält SNF Starting Grant

Dr. Anja Hasse hat 2023 einen Starting Grant des Schweizerischen Nationalfonds erhalten, der es ihr ermöglicht, ein fünfjähriges Projekt mit einem eigenen Forschungsteam zu leiten. Das Forschungsprojekt «BOND: Birth of new dialects? – Swiss German in traditional Romansh areas» untersucht die neu herausgebildeten und die sich neu herausbildenden schweizerdeutschen Dialekte im traditionellen Sprachgebiet des Sursilvan und Sutsilvan.

Diese Gebiete sind von einer seit Langem bestehenden Mehrsprachigkeit zwischen Romanisch und Deutsch geprägt, wobei sich die Mehrheitsverhältnisse der Sprachen von Ort zu Ort unterscheiden und sich immer wieder verschieben. Bonaduz wurde beispielsweise 1908 durch einen Dorfbrand zerstört. Der Wiederaufbau beschleunigte die Germanisierung und heute spricht nur noch gut 5 % der lokalen Bevölkerung Romanisch. Allerdings sehen wir nicht überall die gleichen Tendenzen des Sprachwandels. In der Volksbefragung von 2000 gaben in Vrin im Val Lumnezia gar über 95 % an, dass Romanisch ihre Hauptsprache sei. In der jüngsten Zeit ist die romanischsprachige Bevölkerung vollständig zweisprachig geworden. Dennoch ist kaum untersucht, wodurch sich die deutschen Varietäten im traditionell romanischsprachigen Gebiet auszeichnen, seien es jene der zweisprachigen Bevölkerung oder jene der seit Langem dokumentierten schweizerdeutschen Sprachgemeinschaft. Um diese blinden Flecken der schweizerdeutschen Dialektologie zu schliessen, werden im Rahmen des Projekts an 25 Orten Interviews durchgeführt. Anhand dieser Daten können die sprachlichen Systeme dieser Dialekte beschrieben werden, einsprachige und mehrsprachige Sprecherinnen und Sprecher können miteinander verglichen und mögliche Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen untersucht werden.

Anja Hasse hat in Zürich und Uppsala Skandinavistik, Germanistische Linguistik und Vergleichende Germanische Sprachwissenschaften studiert. Nach Forschungsaufenthalten an der Università degli studi dell’Aquila und an der University of Surrey hat sie 2018 in Zürich promoviert.

Laura Velte erhält Zeno-Karl-Schindler-Preis für deutsche Literaturwissenschaft 2023

Den Zeno-Karl-Schindler-Preis 2023 für deutsche Literaturwissenschaft hat die Schweizerische Akademische Gesellschaft für Germanistik Dr. Laura Velte für eine hervorragende Leistung auf dem Gebiet der Germanistischen Mediävistik verliehen. Prämiert wurde ihre Dissertation mit dem Titel «Sepulkralsemiotik. Grabmal und Grabinschrift in der europäischen Literatur des Mittelalters». Die komparatistisch ausgerichtete Studie ist 2021 in der renommierten und von unserer Kollegin Susanne Köbele (mit-)herausgegebenen Reihe «Bibliotheca Germanica» erschienen.

Laura Veltes Arbeit ist anthropologischen Grundfragen gewidmet: «Wie gedenkt die Literatur des Mittelalters ihrer Toten? Wie hält sie die Erinnerung an ihr Leben wach?» Sie untersucht erzählte Grabmäler und Inschriften, aus denen sich die Zeichenhaftigkeit einer literarischen Erinnerungskultur rekonstruieren lässt. Wir gratulieren und wünschen für die weiteren Vorhaben viel Erfolg!

Lektüretipps

Das Bild zeigt drei Buchumschläge der beschriebenen Lektüretipps.

Christian Kiening: Das Mittelalter der Gegenwart. Poetische Zeitenräume

In der Lyrik seit etwa der Jahrtausendwende gibt es auffallend viele Bezüge auf mittelalterliche Texte: das Nibelungenlied, den Minnesang, die Lieddichtung, die Mystik. Bei Thomas Kling, Raoul Schrott, Ulrike Draesner, Felicitas Hoppe, Marcel Beyer und anderen kommt es zu Wiederentdeckungen von Werken, die sich unvermutet für den gegenwärtigen sprachlichen, zeitlichen, politischen und sozialen Erfahrungshaushalt als relevant erweisen. Das vorliegende Buch gibt einen repräsentativen Überblick über diese aspektreichen und sprachmächtigen poetischen Formen. Es situiert sie nicht einfach im Rahmen der auch sonst vielfältigen Mittelalterrezeptionen. Es zeigt sie als eindringliche Arbeit an unserer eigenen Gegenwart – die sich auf Tiefenräume und Zeitschichtungen hin öffnet. Sichtbar werden komplexe Beziehungen zwischen Altem und Neuem, die es den Autorinnen und Autoren erlauben, sich in einem grösseren literarischen Feld zu positionieren, ja mit den Grössen der Literaturgeschichte zu messen.

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Alwin Frank Fill: Linguistische Promenade - eine vergnügliche Wanderung durch die Sprachwissenschaft von Platon zu Chomsky

Platon lässt Sokrates mit Kratylos über den Ursprung der Sprache disputieren. Berkeley zieht den Vorhang der Wörter weg, und man erblickt dahinter, zum Greifen nahe, den Baum der Erkenntnis. Diese vergnügliche Wanderung durch die Geschichte der Linguistik hält sich zwar streng an die Erkenntnisse der Wissenschaft, greift aber das Unterhaltsame und Anekdotische heraus. Das Buch ist eine Einladung zu einem linguistischen Spaziergang, der dem promenierenden Publikum die Vielfalt der Themen und Methoden der Sprachwissenschaft spannend vor Augen führt. (Verlagstext)

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Wolfram Groddeck: «Meine Bemühungen». Aufsätze zu Robert Walser

Wolfram Groddeck, emeritierter Professor am Deutschen Seminar, hat 2023 im Schwabe Verlag seine «Aufsätze zu Robert Walser» veröffentlicht – und zwar unter dem wunderbaren Titel: «Meine Bemühungen». So lautet der Titel eines der vielen Prosastücke von Robert Walser aus dem Jahr 1928. Doch gleichzeitig verrät dieser Titel einiges über Groddecks eigene Haltung seinem komplizierten Gegenstand gegenüber: Er bemüht sich nämlich, vierzehnmal, Walsers Texte angemessen zu lesen. Der Band versammelt Lektüre der vergangenen zwanzig Jahre:
«Niemand überblickt Walsers gesammelte Werk, kaum jemand hat es ganz gelesen», so lautet der erste Satz des Buches – und sicherlich niemand so intensiv wie Groddeck, der seit 2004 auch einer der Herausgeber der «Kritischen Robert Walser-Ausgabe» ist. Die Aufsätze sind ebensolche Solitäre wie die Walser Texte selbst, denen Lesende mit keiner Masche, keinem Rezept, keiner Methode gar gerecht werden können. Groddeck bemüht sich für jeden einzelnen um deren immanente Poetik, damit er dem jeweiligen Sprachkunstwerk gerecht werden kann. Dabei geht er von Anfang an davon aus, dass sich die einzelnen Texte eben zu keinem hermeneutischen Ganzen fügen. Seine Bemühungen sind deshalb einzelne Leseabenteuer.

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Top Ten Fictional Narratives in Early Modern Europe

Prosaromane, romances, romans de chevalerie, libros de caballerías, knížky lidového čtení – in vielen europäischen Sprachen und Literaturen ist das Genre des vormodernen fiktionalen Erzähltexts bekannt. Ausgehend von einem Forschungsprojekt zur Literatur der Frühdruckzeit an der Universität Antwerpen, wo sie sich kennengelernt haben, haben sich sieben Forscher:innen zu einem Team zusammengetan, um das Phänomen dieser faszinierenden, grenzüberschreitenden Texte zu kartographieren. Auch das Herausgeberteam vertritt verschiedene Philologien: Rita Schlusemann (FU Berlin, Niederlandistik), Helwi Blom (Universität Utrecht, Romanistik), Anna Katharina Richter (Universität Zürich, Skandinavistik) und Krystyna Wierzbicka-Trwoga (Universität Warschau, Polonistik). Zehn der am meisten verbreiteten Texte haben die Herausgeberinnen aufgrund ausgewählter Kriterien zu den «Top Ten Fictional Narratives in Early Modern Europe» gekürt und sind hier den Verbreitungswegen von Aesopus auf Schwedisch, Melusine auf Polnisch, Fortunatus auf Englisch oder Ulenspiegel auf Französisch nachgegangen.

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Denkbilder: Das Germanistikmagazin der UZH

Im Dezember 2023 ist die 53. Ausgabe des Literaturmagazins «Denkbilder» zum Thema «Hotel» erschienen. Die Vernissage fand am 20. Dezember 2023 im Cabaret Voltaire statt.

Das neue Heft erscheint im Juni 2024 zum Thema «Lücke».

Link zur Website der «Denkbilder» | Link zum Kauf einzelner Ausgaben

Würdigung

Ehrung Susanne Köbele

Im Sommer 2023 wurde Professorin Dr. Susanne Köbele emeritiert bzw. «entpflichtet», wie sie es selbst formuliert hat. Köbele gehört zu den grossen Vertreter*innen der germanistischen Mediävistik weltweit, deren Forschung das gesamte Mittelalter umfasst und das Fach massgeblich prägt. Sie hat das Deutsche Seminar der Universität Zürich, das traditionell eine sehr prominente Abteilung für Ältere deutsche Literatur hat, über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht; u.a. ist sie Mitglied der Bayerischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Köbele studierte Deutsche und Lateinische Philologie und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1990 wurde sie dort mit einer Arbeit zur Mystik promoviert: «Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache» (1993). Es folgt am Ende ihrer Münchner Assistenzzeit 2001 die Habilitation mit einer Studie zur Minnelyrik: «Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung» (2003). Ihr Weg führt über die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo Köbele von 2003 bis 2011 eine Professur für Germanische und Deutsche Philologie inne hatte, nach Zürich: Dort war sie seit 2011 Professorin für Ältere deutsche Literaturwissenschaft.

Köbele verbindet ein immenses historisches Wissen mit ganz besonderem ästhetischen Feingefühl, das sie auf der Grundlage zeitgenössischer poetologischer und modernster literaturtheoretischer Überlegungen zusammenführt, um die alten Texte sprechen und singen zu lassen. Mit dieser einzigartigen Begabung hat sie in Zürich nicht nur zwölf Jahre spannende Lehre angeboten, sondern auch den akademischen Nachwuchs gefördert. Nicht zuletzt stammen aus ihrer Schule junge Professorinnen, an die sie den Stab der aktiven Pflichten für die Universität übergeben hat.

Neues vom DS

Julia Frick vertritt von April 2024 bis März 2026 die Professur für deutsche Sprach- und Literaturgeschichte des Spätmittelalters im medien- und kulturgeschichtlichen Kontext an der Universität Rostock.

Coralie Rippl habilitierte sich im HS 2023 mit einer Arbeit zum Thema «Gleichzeitigkeit, Iteration, Doppelung. Zeitwahrnehmung in höfischem und religiösem Erzählen um 1200». Ihr wurde die Venia legendi für das Fachgebiet Deutsche Literaturwissenschaft von den Anfängen bis 1700 verliehen. Wir gratulieren!