Navigation auf uzh.ch
Stichwörter der Kartei von Urs Herzog
Urs Herzog hat die Fülle seines gesammelten Materials stets in einer Kartei geordnet. Unter vielen Stichworten hat er Material zum jeweiligen Thema abgelegt und Querverweise zwischen den Texten gemacht. Im Folgenden sollen die zentralen Stichwörter anhand des von Urs Herzog abgelegten Materials skizziert werden, um Interessierten einen ersten Einstieg ins Thema zu ermöglichen.
A B D E F G H I J K L M N O P R S T U V W Z
A
Abbitte
Zum Tode verurteilte Verbrecher mussten vor der → Hinrichtung oft öffentlich → Busse vor der ganzen Gemeinde leisten. Das Zeigen von Reue, die Bitte um Vergebung und die Rückkehr zum christlichen Glauben sollten den Delinquenten einen seligen Tod ermöglichen.
Johann Ludwig Fasnacht: Straf-Sentenz und Predigt bey Anlass der öffentlichen Abbitte und des Fussfalls des Jakob Rufer von Urtenen, der sich an seinem Vater vergriffen..., Bern 1823.
Aberglauben
Aberglaube spielte in den christlichen Gesellschaften des Mittelalters bis in die Neuzeit in vielen Bereichen des Lebens eine Rolle. So waren auch rund um Verbrechen und → Hinrichtung verschiedene Aberglauben verbreitet. Zum Beispiel, dass, wenn man barfuss hingerichtet wurde, der selige Tod gesichert sei. Besonders im Zuge der → Aufklärung wurde dann Aberglaube (im Zusammenhang mit «Hexerei») von der christlichen und weltlichen → Obrigkeit kritisiert und dem einfachen Volk zugeschrieben.
Christian Ludwig Hahnzog: Predigten wider den Aberglauben der Landleute, Magdeburg 1784.
Abschreckung
→ Hinrichtungen dienten nicht nur zur Bestrafung und Erlösung eines Verbrechers sondern auch zur Abschreckung der Gesellschaft. Die → Standrede nahm dabei eine wichtige Rolle ein. Der Priester richtete meist kurz nach der Hinrichtung ein mahnendes Wort an die → Zuschauenden. Durch die Nähe der Rede zur Hinrichtung hatte die Ermahnung besondere Stärke.
Ärgernis
In mehreren Quellen wird von den begangenen Verbrechen als Ärgernissen gesprochen. Delinquenten söhnen sich durch ihren Tod beispielsweise mit den Menschen und der Kirche aus, die sie durch ihre Lebensweise oder Taten geärgert haben. Beim Ärgernis handelt es sich um anstössiges, skandalöses Verhalten. Es ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert belegt – Luther übersetzte in seiner Bibelübersetzung das Wort «skándalon» mit «Ärgernis».
Hans Conrad Wirz: Die seel-verderbliche und strafbare Sünde der Ärgerniss, vorgestellt in einer Predigt, Sonntags, den 15. Jener 1758, Zürich.
Andacht
Die Andacht konnte als eine Art geistliche «Therapie» bei der Begleitung der Delinquenten und deren Vorbereitung auf den Tod eine Rolle spielen. Sie bezeichnet im religiösen Sinne die geistliche Sammlung der Gedanken im → Gebet oder einen kurzen Gottesdienst. Neben Predigten und Gebeten waren Andachtstexte vor allem ab dem späten 16. und 17. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum sehr verbreitet und gehörten zu den am häufigsten gedruckten Texten überhaupt.
Geistiges Turteltäubelein. Das ist Gottselige Andacht, aus dem 74. Psalm..., Strassburg 1669.
Gedanken, über des nach der seligen Ewigkeit reisenden Christen zufällige Andachten, in: Vermischte Sammlungen auserlesener alter und neuer Merckwürdigkeiten aus der Philosophie, Gottsgelahrtheit, Sittenlehr, Natur-Wissenschafft, vaterländischen und Kirchen-Geschicht, Mechanic, Critic, Dichtkunst wie auch übrigen Künsten und Wissenschaften, das dritte Stück, Zürich 1742, S. 731-38.
Angst
Beim geistlichen Beistand für die Verurteilten durch einen Priester sollte es immer auch darum gehen, mittels → Gebeten und anderen religiösen Ritualen die Angst vor dem Tod zu überwinden. Die Delinquenten sollten sich bewusst werden, dass der Tod eine Erlösung ist und es ihnen trotz ihrer Sünden möglich sei, in den Himmel kommen.
Ars moriendi
Ars moriendi (lat. für «Die Kunst des Sterbens») entstand im Spätmittelalter als eine Gattung der Erbauungsliteratur und hatte die christliche Vorbereitung auf den Tod zum Ziel. An solchen Schriften lässt sich erkennen, wie zentral im christlichen Glauben des späten Mittelalters die Vorbereitung und christliche Begleitung vor dem Tod war. Nicht nur Verbrecher, sondern grundsätzlich alle Mitglieder der christlichen Gemeinschaft sollten eine sorgfältige Vorbereitung auf einen guten und heilsamen Tod haben.
Hans Heinrich Meyer: Memento mori das ist Heilsame Betrachtung und Erinnerung dess Todes, Basel 1684.
Asketische Gesellschaft
Die Asketische Gesellschaft in Zürich war eine 1768 gegründete Vereinigung von Pfarramtskandidaten und amtierenden Pfarrern, die sich die Vorbereitung von Gefangenen und zum Tode Verurteilten zur Aufgabe machte, weil man es für eine Pflicht hielt, «den Delinquenten noch in den letzten Lebenstagen zur → Conversion zu bringen». Die Pfarrer selbst bereiteten sich für diese Aufgabe jeweils in Zusammenkünften vor.
Friedrich Meyer, Die asketische Gesellschaft in Zürich. Festschrift zur Feier ihres hundertjährigen Jubiläums, am 10. Juni 1868, Zürich 1868.
Asketische Gesellschaft (Hg.): Betrachtungen und Gebethe für Verbrecher, die ihr Urtheil erwarten...Ein Handubch für Strafanstalten, Zürich 1828. ZB, Signatur: 28.183
Aufklärung
Urs Herzog interessierte sich vor allem für die Rolle der Kirche in der Aufklärung, darunter insbesondere für die Predigt, von welcher er immer wieder Querverbindungen zu seiner Forschung über die Barockpredigt zog. Predigten in der Aufklärung handelten oft von aktuellen Ereignissen und Tugenden und Lastern der einzelnen Menschen. Diese Thematik setzt sich in der Gattung der → Standrede fort. Erst in dieser Zeit erlebte die Art der Predigt, in der nach individuellen Erklärungen und Gründen für Verbrechen gesucht wurde, Konjunktur.
B
Bänkellied/Bänkelsang
Bänkellieder waren erzählende Lieder, welche von Bänkelsängern auf Jahrmärkten, Messen und Festen den Menschen vorgetragen wurden. Der Vortrag wurde oft mit der Verwendung von Bildern unterstützt. Die Texte hatten häufig einen schaurigen Inhalt und wurden teilweise als → Flugblätter gedruckt. Unter anderem erzählten Bänkelsänger Geschichten von Verbrechern und verbreiteten Nachrichten über erfolgte oder bevorstehende → Hinrichtungen.
Ein erschröckliche unnd klägliche Histori von einem Mörder, Bläsi Enderlin genannt...welcher zu Byberach einkommen und volgendts den 20. Augsuti gericht worden...Im Thon, wie man den Störzenbecher singt, Ulm 1585.
Drey schöne newe geistliche Lieder, das erste: ein newe geistliche Passions-Betrachtung: christliche Seel, betrachte etc. ... das ander: ein new Lied, der geistlich Bräutigam genannt oder ein Hochzeit-Lied, Jesu, du mein liebes Leben meiner etc., das dritte: ein schöner newer Abend-Sägen, weil die Sonn nun von uns weicht und der Mon etc., 1666.
Traur-Gedicht uber das erbärmliche, doch selige Ableben Herren Joh. Caspar Maurers, treugeflissnen Pfarrers zu Rorbiss ..., getrukt im Jahr Christi 1676.
Ein warhaffte unnd erschröckliche Begebneheit, so sich zugetragen zu Schaffhausen in der Eydgnossschafft. Eine erschöckliche und grausame Mordt-That, als nemblich mit vier Ubelthäter ... ihren gewessten Haussherrn und Junckern, Juncker David von Waldkirch umb Mitternacht in seinem Ruhbeth jähmerlicher Weiss ersteckt und erwürgt, auch wie sie den 1. October in Schaffhausen von dem Leben zum Todt seynd hingericht worden. Im Thon: Wie die siben Wort, oder wie das Warwanger Lied, 1687.
Zwey schöne geistliche Lieder, das erste: von dem wunderthätigen Pater Marx von Aviano Capuciner-Ordens Prediger, seines Alters 48, im Orden 32. Jahr, im Thon, Komm H. Geist mit deiner Gnad etc., das ander: ist der geistlich Choridon.
[-Eine warhafte Geschicht von eines Fürsten Tochter aus Sicilien und einem jungen Graffen was zwischen beyden durch die Liebe vor Elend und Leid geschehen ist, dises alles ist ausführlich im Gesang zu vernehmen,samt ener anderen Histori oder Geschicht.-]
Eine sehr nachdenckliche Beschreibung, von dem Anno 80 gestandenen Comet-Sternen, was in 25 Jahren in unsern Teutschen Landen Glaubwürdiges ist vorgangen bis auff das jetztlauffende 1706. ist vorgangen ...nach der Singweise wie das Fluch A.B.C, Frankfurt am Main 1706.
Eine gewisse warhafftige und erschröckliche neue Zeitung, welche sich ... 1734 zu Oedenburg begeben..., getruckt zu St. Gallen 1734.
Eigentlicher Bericht, welcher von Antwerpen aus dem Niderland in einem Tractätlein nacher Cölln ist verschickt worden, welcher uns meldet von 48 Mörderen und Strassen-Räuberen ... Lieder.
Barmherzigkeit
In den → Standreden und auch in vielen anderen christlichen Predigten wird oft von Barmherzigkeit (misericordia) gesprochen. Einerseits ist die Barmherzigkeit eine zentrale Eigenschaft Gottes, auf die in den Reden Bezug genommen wird: Im → Gebet für den «armen Sünder», wie der Hinzurichtende oft genannt wird, wird diese Barmherzigkeit angesprochen und um das Heil des Sünders gebeten. Andererseits wird in Predigten auch von der Gemeinschaft Barmherzigkeit gegenüber den Unglücklichen und Armen der Gemeinschaft gefordert.
Danksagungs-Schrifft der Piemontesischen Exulanten an unsere Gnädige Herren und und Oberen lobl. Statt Zürich, übergeben den 30. Julii 1688, Zürch 1688.
Begnadigung
Begnadigung konnte sowohl das Erlassen als auch das Abmildern der → Strafe bedeuten (bspw. → Hinrichtung durch das Schwert statt durch den → Galgen oder Gefängnis- statt → Todesstrafe). Eine Begnadigung erfolgte nach der Bitte um Gnade durch den Delinquenten selbst, durch einflussreiche Angehörige oder durch Adlige. Adligen konnte dabei das sogenannte Abschneiderecht zustehen, was sie dazu berechtigte, den Delinquenten noch in letzter Minute vom Strick zu schneiden. Dabei ist die Rolle der adligen Frauen auffällig: Ihrer Meinung wurde offenbar bei Begnadigungsfällen viel Gewicht beigemessen – besonders wenn sie jungfräulich oder schwanger waren.
Gabrielis Küpferle: Gnaden-Process der allerheiligsten Jungfrau und Mutter Gottes Mariae von Alten Oetting über etliche Malefiz-Personen absonderlich Thomas Hansen ..., Salzburg 1663.
Begräbnis
Hingerichteten Personen wurde lange ein christliches Begräbnis verwehrt. Der Leichnam des Hingerichteten wurde verbrannt, ins Wasser geworfen, unter dem → Galgen oder sonst irgendwo in ungeweihter Erde vergragben. Etwa ab dem 15. Jahrhundert wurde Hingerichteten vielerorts zunehmend gestattet, sich in geweihter Erde (z.B. auf einem Friedhof) bestatten zu lassen.
Beichte
Die Beichte war Teil des institutionalisierten Begleitungsprozesses einer verurteilten Person durch einen Geistlichen. In Anweisungstexten für Geistliche ist sie als ein fester, vorgeschriebener Punkt in der Begleitung aufgeführt. Zur letzteren gehörten unter anderem auch Besuche von Angehörigen oder anderen Leuten , das heilige Abendmahl am Tag vor der → Hinrichtung sowie die → Standrede. Bei der Beichte sollte der Fokus nicht zu sehr auf der Tat und auf dem materiellen Schuldbekenntnis liegen. Sie sollte das ganze Leben umfassen und es ging eher um Reue und den Wunsch nach sittlicher Besserung. Da die Beichte keinen Einfluss auf das → Urteil haben sollte, fand sie normalerweise nach dem gesprochenen Urteil statt.
Bekehrung (conversio)
Oft wird in geistlichen Reden oder in Lebensbeschreibungen von der Bekehrung durch Gott als wichtiges Moment im Vorbereitungsprozess der Hinzurichtenden gesprochen. Durch die Bekehrung kehrten sich die die Delinquenten von der Sündhaftigkeit ab und fanden zurück zu Gott. Sie stellte die Versöhnung mit und die Verzeihung durch Gott dar. Dass ein Verurteilter bekehrt war, machten die Geistlichen zum Beispiel daran fest, dass er aufrichtige Reue zeigte und seinem Glauben an Gott im → Gebet Audruck verlieh. Auch das Lernen von christlichen Sprüchen und → Liedern konnte zeigen, dass man zurück zu Gott finden wollte. Teilweise zweifelten die Geistlichen an der Bekehrung der Verurteilten oder die Delinquenten verweigerten selbst die Bekehrung, indem sie zum Beispiel geistliche Bücher zurückwiesen oder bis zum Schluss ihre Sünden nicht bekennen wollten.
Serafino da Vicenza: 37. Predigt: Von der Straflosigkeit eines Sünders, in: Lehrreiche Sitten-Gedanken, oder Auserlesene Predigten, welche bey unterschiedlichen Gelegenheiten...in wälscher Sprache vorgetragen...zweyter Theil, München 1767, S. 193-196.
[-Jacob Schmid: Trauben der Heiligkeit aus denen Dörnern der Bossheit, oder, verwunderliche Bekehrungen allerhand Mördern, Raubern, Zauberern, auch viler zum Tod verurtheilten Übelthätern oder Maleficanten, welche entweders noch frühezeitig, oder wenigst vor ihrem Tod herrlich Buss gewurcket...sambt einer Weiss für die Seelsorger, die armen Sünder zu einem guten Tod anzuleiten, Augsburg Franz Anton Strötter 1738 / Augspurg 1752.- ]
Betrachtung
Betrachtung (contemplatio) meint, eine meist nicht materielle Sache genau zu studieren, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen. Dies kann im Hinrichtungs- und Strafkontext christliche Betrachtungen beinhalten, die zu konkreten Anweisungen führen, wie sich die Gesellschaft bei vorkommenden → Ärgernissen verhalten solle. Eine solche geistliche Betrachtung ist oft auch Teil einer → Standrede. Weiter geht es beim Begriff der Betrachtung um den Akt des Anschauens an sich – so wird in der Praxis der Standrede das gesprochene Wort mit dem Sehen der → Hinrichtung verknüpft.
['Betrachtung der Gerichten Gottes in diesen Zeiten, sonderlich des erschröckenlichen Ungewitters in der Nacht vor dem 1. Julii 1731, Basel 1732.']
Binden
Das Binden fand vor der → Ausführung (Gang zur Richtstätte) des Delinquenten statt. Der oder die Verurteilte wird – wie es in den Quellen oft genannt wird – vom → Scharfrichter zu «Handen und Banden» genommen, das heisst es werden die Hände mit einem Strick zusammengebunden und der Delinquent wird so zur Richtstätte geführt. In den Quellen wird manchmal der Vergleich zu → Tieren gezogen, die zum Schlächter gebracht werden. Diese Schmach, die das Binden mitsichführte, wurde noch dadurch verstärkt, dass die Banden vom «unehrlichen» Scharfrichter angelegt wurden. Anlässlich einer → Hinrichtung des Jahres 1834 spricht ein Prediger (Pfarrer Frei) in einer Standrede daher von «entmenschenden Banden» (STR_1834e (PDF, 690 KB)).
Biographie/Autobiographie
Häufig wurden den → abgedruckten Standreden Biographien oder Autobiographien der Hingerichteten (oft «Lebensbeschreibungen» genannt) angefügt. Auch in den Standreden selbst wird meistens auf einschneidende Ereignisse im Leben der Hingerichteten Bezug genommen. In den Lebensbeschreibungen fanden Priester teilweise Gründe, weshalb eine Person zur Sünderin wurde oder es wurde anhand der Biographie veranschaulicht, wie ein schlechtes Leben verlaufen konnte und was man im Leben vermeiden sollte.
Busse/Busspredigt
Mittels Busse sollte die göttliche Ordnung, welche durch eine Sünde durcheinandergebracht wurde, wieder hergestellt werden. Im Hinrichtungskontext spielte die Busse insofern eine wichtige Rolle, als die Sünder vor ihrem Tod Reue zeigen und Busse tun sollten, um trotz allem einen seligen Tod sterben zu können. Die Busspredigt enthielt Botschaften, die den Menschen ihre Sündhaftigkeit bewusst machen sollten. Ihr Thema war meist die Abkehr von der Sünde und die Hinkehr zu Gott. Besonders zu Zeiten sittlicher Unordnung und äusserer Bedrängnisse war die Busspredigt eine beliebte Form geistlicher Reden. Ihren Höhepunkt erreichte sie im hohen Mittelalter und in der Renaissance- und Barockzeit.
D
Diebstahl
Bis lange in die Neuzeit gehörte Diebstahl neben Vergehen wie Raub, Mord und Notzucht zu denjenigen Delikten, die mit der → Todesstrafe belegt waren. Dieser Umstand mag zum Teil an der Häufigkeit von – oft durch Armut bedingten – Diebstählen und der dadurch entstandenen alltäglichen Gefahr gelegen haben. Bei weniger schweren Fällen von Diebstahl war die Konsequenz nicht immer die Todesstrafe – auch Verstümmelung oder Brandmarkung waren häufige Strafen. Schon in Quellen des 17. und 18. Jahrhundert wurde zum Teil Kritik an der harten Bestrafung so kleiner Delikte wie z.B. dem Stehlen von Esswaren zum Ausdruck gebracht – zum Beispiel mit dem damals schon verbreiteten Sprichwort: «Kleine Diebe henkt man, die grossen lässt man laufen.»
Kurze Beschreibung der Diebstählen derjenigen vier Erzböswichter, welche 1779 zu Diessenhofen ... hingerichtet worden ..., Diessenhofen 1779.
Dismas
Mit Jesus wurden zwei Verbrecher zu → Kreuze geführt, von denen der eine (Gestas) Jesus am Kreuz verhöhnt, während der andere (Dismas) ihn um Beistand gebeten habe. Diese Geschichte des «guten Schächers» findet sich so nur im Lukasevangelium. Hinzurichtende Delinquenten wurden in den neuzeitlichen, geistlichen Überlieferungen teilweise in die Tradition des Dismas gestellt, indem beteuert wurde, dass sie nach getaner → Busse nun mit Gott versöhnt seien und wie der «Schächer am Kreuz» zu Jesus ins Paradies kommen sollten. Darin liegt auch ein entscheidendes theologisches Argument für die geistliche Begleitung des Delinquenten: Die Zuwendung Jesu zum Schächer am Kreuz machte deutlich, dass keine Sünde so gross ist, dass Gott sie nicht vergeben kann.
Druck der Standrede
→ Standreden wurden oft in Druck gegeben – dies wohl, damit das schreckliche Ereignis möglichst lange in Erinnerung bleiben würde und die → abschreckende Wirkung aufrechterhalten konnte. Die gedruckten Reden wurden entweder bei oder nach der → Hinrichtung verkauft. Der Erlös war für einen guten Zweck bestimmt: teilweise für Armeninstitutionen und sehr oft für die Angehörigen des Hingerichteten. Häufig werden explizit deren Kinder genannt, denen mit dem Geld eine gute → Erziehung ermöglicht werden sollte.
E
Erziehung
In den Standreden wurde oft nach einer Erklärung für die verübte Tat gesucht. Auffallend oft wird diese in der schlechten Erziehung des Delinquenten gefunden. So wurden Mängel in der sittlichen und religiösen Bildung, schlechter Schulunterricht, aussereheliche Zeugung oder Vernachlässigung im Kindesalter als Gründe für späteres Fehlverhalten genannt. Diese Vorstellung vom Einfluss der Erziehung auf den weiteren Lebensverlauf der Menschen setzt sich mit der aufkommenden Pädagogik in der → Aufklärung durch. Die Verbrechen wurden damit immer mehr → psychologisiert und es wurden individuelle Erklärungen für die jeweilige Tat gesucht.
Christian Felix Weisse: Der Kinderfreund. Ein Wochenblatt, 1726-1804.
Christoph Trümpi: 4. Predigt. Von der christlichen Kinderzucht, in: Predigten, gehalten bey ausserordentlichen Anlässen zur Ehre der Religion, Zürich 1781, S. 94-118.
Exempel
In den → Standreden und anderen Quellen im Hinrichtungskontext ist der Begriff des Exempels zentral. Es wird immer wieder betont, dass die → Hinrichtung ein warnendes Beispiel (Exempel) für die → Zuschauenden sei, welche dadurch vom Verbrechen und der Sünde abgehalten werden sollten. Die Standreden hatten also klar einen pädagogischen Zweck für die Gesellschaft – insbesondere auch für Kinder. Durch den → Druck und den Verkauf der Standreden sowie den häufig beigefügten Lebensbeschreibungen konnte der → abschreckende und → erzieherische Effekt dieser Beispiele noch verstärkt werden.
F
Flugschrift
Im Zuge der technischen Entwicklungen der frühen Neuzeit wie dem Buchdruck entstanden auch Flugblätter und Flugschriften (längeres Schriftstück) als erste Kommunikationsmedien, die einen grösseren Teil der Bevölkerung erreichten. Manchmal wird von Flugblättern auch als erstes Medium der Massenkommunikation gesprochen. Sie dienten zur Berichterstattung oder wurden für religiöse oder politische Polemik und Propaganda benutzt. Oft beinhalteten Flugschriften Sensationsberichte über Kriege, Katastrophen oder Verbrechen, die anhand drastischer oder erschreckender Bilder illustriert wurden. Durch die Flugschriften fand eine grössere mediale Verbreitung von Kriminalität statt, indem die Geschichten von Verbrechen geschildert und manchmal mit Illustrationen von → Hinrichtungen bebildert wurden. Wie auch die → gedruckten Standreden dienten sie unter anderem zur → Abschreckung und religiösen Ermahnung.
Folter
Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit diente die Folter (auch Marter, Tortur oder peinliche Befragung genannt) dem Gewinn eines Geständnisses unter physischen und psychischen Qualen. Dem liegt die Rechtsvorstellung zugrunde, in der ein Geständnis das wertvollste aller Beweismittel darstellt. Die Tortur wurde zwar von der richterlichen Instanz angeordnet, die Anwendung und das Ausmass wurde aber weitgehend dem → Scharfrichter überlassen. Um bei der Folter weniger Schmerzen zu spüren, sprachen die Delinquenten oft einen lateinischen Spruch, der sich auf → Dismas und Gestas bezog. Ab dem 18. Jahrhundert wurde die Folter immer seltener angewendet, bis sie schliesslich 1798 in der Schweiz verboten wurde. Doch 17 Jahre später wurde sie in einigen Kantonen wieder eingeführt und erst 1851 im letzten Kanton (Glarus) endgültig abgeschafft.
G
Galgen
Ab dem 18. Jahrhundert ging die Zahl der → Hinrichtungen durch das Erhängen am Galgen erheblich zurück. In Zürich wurde die → Todesstrafe durch Erhängen 1831 abgeschafft – sie wurde allmählich nur noch durch das Schwert ausgeführt. Davor wird die Hinrichtung durch den Galgen in vielen Quellen im Zusammenhang mit → Diebstahl erwähnt, der als besonders unehrliches Verbrechen galt. Im Gegensatz zur Hinrichtung durch das Schwert galt der Galgen allgemein als unehrenhafter Tod. Galgen wurden in vielen Städten auf einem weithin sichtbaren Hügel ausserhalb der Stadtmauern errichtet. Erhängte wurden nach ihrer Hinrichtung oft noch einige Zeit dort hängen gelassen. Darin kommt wiederum das Ziel der → Abschreckung und Prävention der → Obrigkeiten zum Ausdruck. — Literaturhinweis: Friedrich Kobler, Artikel "Galgen", in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte (2016). http://www.rdklabor.de/w/?oldid=97448
Galgenrede
Die Galgenrede bezeichnet die letzten Worte eines Hinzurichtenden, die er kurz vor seiner → Hinrichtung in Form einer Rede an die → Zuschauenden richtete. Nicht nur bei Hinrichtungen durch Erhängen, bei denen die Rede direkt «auf der Leiter» (Galgenleiter) gehalten wird, sondern auch bei solchen durch das Schwert, Rad oder Feuer wird von Galgenrede gesprochen. Die Galgenrede konnte auch vom begleitenden Priester gehalten werden, wobei dann aber eher von Galgenpredigt gesprochen wird. Im Falle der Galgenpredigt durch den Pfarrer kann man diese als → Standrede bezeichnen. Im Mittelpunkt solcher Reden – seien sie vom Verbrecher selbst oder vom Pfarrer gehalten – stand wie bei den Standreden die Ermahnung des Publikums, die Anerkennung der Schuld und der Strafe sowie die Aufforderung zur Frömmigkeit.
Jean Paul: Herbst-Blumine, oder, gesammelte Werkchen aus Zeitschriften, drittes Bändchen, Berlin 1820.
Gang zur Hinrichtung/Ausführung
Der oder die Verurteilte wurde am Tag der → Hinrichtung von Geistlichen und zahlreichen weiteren Menschen zur Richtstätte → geführt – teilweise zu Fuss oder auf einem Wagen. Die Richtstätte befand sich meistens ausserhalb der Stadt (extra muros). In Zürich führte der Weg durch das → Rennwegtorüber die Sihlbrücke zum → Rabenstein (heutige Stadtkreis Aussersihl). Ein damals geläufiges Wort für das öffentliche Führen eines Straftäters zur Richtstätte war Ausführen (ûsfüere). Teil der Ausführung war das Predigen auf dem Weg, zum Teil auch das Schenken von → Speisen durch die Stadtbewohner. Die Ausführung stellte einen wichtigen Teil des christlichen Begleitungsprozesses dar, der nach der Hinrichtung auf der Richtstätte mit dem Vortragen der → Standrede endete. Einen möglichen Weg eines Straftäters zur Richtstätte rekonstruiert Urs Herzog in seiner angefangenen Publikation.
Gebet
Beim geistlichen Beistand der zum Tod Verurteilten spielte das Gebet eine zentrale Rolle. Einerseits sollten diese in der Vorbereitung auf den Tod durch das Gebet (zurück) zu Gott finden, indem sie sich zu ihren Sünden bekannten und um Vergebung baten. Das Ziel war die → Bekehrung und die Sicherung eines seligen Tods. Zu diesem Zweck wurden von Geistlichen zum Beispiel Gebetsbücher für Gefangene bereitgestellt. Andererseits war das Gebet, in welchem für die Seele der Hingerichteten gebetet wurde, ein wichtiger Teil der → Standrede und der → Galgenrede. Das Gebet erfolgte meistens am Schluss der Standrede.
Felix Fyss: Christliches Bettbuch, auf allerley Leibs- und der Seelen Nohtwendigkeiten, auf underschiedliche Zeiten und sonderbare Stände und Personen gerichtet, Zürich 1683.
Johannes Zollikofer: Neueröffneter Himmlischer Weyhrauch-Schatz, oder vollständiges Gebätt-Buch, Basel 1753.
Gefangenenseelsorge
Den Delinquenten standen in der Zeit zwischen dem → Urteil und der → Hinrichtung Geistliche zur Seite, die ihn meist Tag und Nacht im → Gefängnis betreuten. Durch gutes Zureden und →Trost versuchten sie, ihn zur → Beichte zu bringen. In der zeitgenössischen, christlichen Vorstellung war es nämlich durch Reue und → Bekehrung möglich, trotz begangener schrecklicher Straftaten noch einen seligen Tod zu sterben. Überliefert sind weiter verschiedene allgemeine Anleitungen und Vorträge zum Thema der Gefängnisseelsorge, unter anderem vom berühmten Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater.
Kirchen-Ordnung, wie es mit der Lehre Göttliches Worts, und den Ceremonien ... in den Kirchen zu Strassburg, bis hieher gehalten worden, und fürohin ... gehalten werden soll, Strassburg 1605.
Hans Jacob Meyer: Maleficanten-Schul. Oder Schriftmässige Andeutung, wie ein Kirchendiener mit armen Maleficanten in der Gefangenschaft und in dem Ausführen zum Tod umgehen solle…, Zürich 1694.
Gotthilf Samuel Steinbart: Ist es rathsam Missethäter durch Geistliche zum Tode vorbereiten und zur Hinrichtung begleiten zu lassen, Verlin 1770.
Unterhaltungen für gefangene Missethäter, zweite mit Zusätzen vermehrte Auflage, Zürich 1772.
Albrecht Schärer: Der Prediger bey Missethätern, oder Anweisung zu einer zweckmässig religiösen Behandlung grosser Verbrecher und ihrer Vorbereitung zum Tode, Bern 1813. ZB, Signatur: ZB 1476
Asketische Gesellschaft (Hg.): Betrachtungen und Gebethe für Verbrecher, die ihr Urtheil erwarten...Ein Handubch für Strafanstalten, Zürich 1828. ZB, Signatur: 28.183
Die Religion in den Strafanstalten, in: Schweizerische Kirchenzeitung No. 5, 1841.
Johann Kaspar Lavater: Ueber Gefängniss-Seelsorge. Ein Vortrag gehalten bei Eröffnung der asketischen Gesellschaft in Zürich, Gotha 1861. ZB, Signatur: 1861/220
Gefängnis
Für einen zum Tode verurteilten war das Gefängnis der Ort, um sich auf die → Hinrichtung vorzubereiten. Die begleitenden Geistlichen sorgten idealerweise dafür, dass der oder die Hinzurichtende religiöse Bücher las und im → Gebet und der → Beichte seine bzw. ihre Sünden bekannte. Wie lange jemand vor der Hinrichtung im Gefängnis sass, war wahrscheinlich sehr unterschiedlich. Die Kindsmörderin Elisabetha Müller zum Beispiel verbrachte laut der nach ihrem Tod gehaltenen → Standrede (STR_1829c) acht Monate im Gefängnis, bevor sie hingerichtet wurde. Schon sehr früh wurden die schlechten Zustände in den Gefängnissen beklagt. Im Zürcher Maleficanten-Schul von 1694, welches Geistliche anweisen sollte, wie man mit den «Maleficanten» in der Gefangenschaft und beim Ausführen zum Tod umgehen sollte, ist die Rede von den «armen Leuten», die man im Gefängnis – manchmal auch «Gestankloch» genannt – besuchen sollte. Diese mussten Kälte, Dunkelheit und → Folter aushalten.
Johann Jacob Cramer: Die Besuche in dem Gefängniss bei dem Raubmörder Heinrich Sennhauser von Schönenberg, Zürich 1845. ZB, Signatur: 1845/147
Glocke
Kirchen- und Ratsglocken spielten in der Organisation der mittelalterlichen und (früh-)neuzeitlichen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Verschiedene Ereignisse wurden durch unterschiedlich klingende Glocken angekündigt. Im Hinrichtungskontext sind besonders die Glocke, die an den Gerichtstermin erinnerte, die Totenglocke und die Armesünderglocke zu erwähnen. Letztere läutete vom Beginn der → Ausführung bis zur → Exekutionauf dem Richtplatz. Die → Hinrichtung wurde also für die Stadtbewohnenden durch das erinnernde Geläut der Glocken auch auditiv wahrnehmbar. Die Bedeutung der Glocke zur Kennzeichnung von Lebensabschnitten wurde von Friedrich Schiller in seinem Gedicht Das Lied von der Glocke 1799 literarisch verarbeitet.
H
Hausvater / Hausväterliteratur
Im Zusammenhang mit Verbrechen und Sünde taucht die (religiöse) → Erziehung immer wieder als zentrales Thema auf – in den → Standreden wird falsche Erziehung nicht selten als Grund für sündiges Verhalten angegeben. In der sogenannten Hausväterliteratur findet sich eine kondensierte «Lehre vom Haus», in der die Pflichten des Hausvaters gegenüber der Ehefrau, den Kindern und dem «Gesinde» (Personal und Handwerksgesellen) systematisch dargelegt wurden. Die häusliche Ordnung, darunter Fragen nach Ehe, Arbeit, → Religion und Moral waren streng geregelt. Hausväterbücher waren vor allem in der Zeit der Reformation verbreitet – die meisten Autoren waren protestantische Pfarrer und folgten in ihren Regeln für Ehe und Familie den Ansichten Martin Luthers, die er in seinen verschiedenen Schriften über Ehe und Hausstand dargelegt hatte.
Heinrich Zschokke: Stunden der Andacht zur Beförderung wahren Christenthums und häuslicher Gottesverehrung, Aarau 1828.
Henker
siehe unter → Scharfrichter
Hinrichtung
Hinrichtungen wurden oft als → Schauspiel bezeichnet, das eine Masse von Menschen anzog. Die ganze Stadt wohnte jeweils dem Ereignis bei, sodass sogar geraten wurde, während der Hinrichtung Wächter im Ort aufzustellen, weil sich bei Abwesenheit aller Bewohner → Diebstähle häufen würden. Für den Ablauf gab es gewisse Vorgaben und Rituale, beispielsweise dass am Tag der Hinrichtung die → Glocke schlagen würde oder dass der Delinquent spezielle → Kleidung tragen musste. Die Exekution sollte ein → Exempel, ein → abschreckendes Mittel sein. Teilweise wird in den Quellen von den toten Körpern metaphorisch als «stumme Predigt» gesprochen: «Die Leichen predigen für sich auf einer mit Menschenblut besudelten → Kanzel». Nicht immer scheint die Tötung des Missetäters auf Anhieb geklappt zu haben – bei missglückten Hinrichtungen wurden oft die → Scharfrichter dafür verantwortlich gemacht. Urs Herzog interessierte sich speziell auch für die literarische Verarbeitung von historischen Hinrichtungen – so zum Beispiel für diejenige von Maria Stuart, von Woyzeck oder für das Schicksal der Susanna Margaretha Brandt, welche die historische Vorlage für Fausts Gretchen war. Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl der Hinrichtungen drastisch ab. Weiter lässt sich eine Tendenz der Verlegung der Hinrichtung ins → Gefängnis feststellen – das Ereignis verlor mit der Zeit immer mehr von seinem öffentlichen Schauspielcharakter.
Johannes Frischherz: Der Prozess des am 5 März 1640 vor dem Rathause in Bern enthaupteten Teutsch-Seckelmeisters, Bern 1849.
Lebhaftes Contrafeth Christ-Catholischer Stärcke. Das ist: Maria Stuarda Aus Engelland, Vorgestellet Durch die studierende Jugend...Zug den 27- und 30.ten Tag Augstmonat 1728. ZB, Signatur: 18.1324
I
Imitatio Christi (Nachfolge Christi)
In den Quellen zu → Hinrichtungen wird oft Bezug genommen auf das Leben und den Tod Jesu – die Hinrichtungen dienten auch als Momente des Gedenkens an die → Kreuzigung Jesu. Man gedachte seiner Leiden, bat um Vergebung der eigenen Sünden und beteuerte, Jesus zu «folgen». In einem → Gebet, das die zum Tode verurteilte Rosina Gräz vor ihrer Hinrichtung noch im → Gefängnis gesprochen habe, bittet sie Jesus, sie aus der Macht der Sünden in die Seligkeit zu führen. «Ja komm du mir selber entgegen, wann ich mit brünstigem Glaubens-Verlangen dich suche und nach dir lauffe […] sey auch in dem Tode mein Leben, dass ich von wegen deines Todes durch den schmächlichen Tod, der auf mich wartet, zu dem herrlichen Leben des Himmels hinüberdringen möge.»
J
Johannes Baptista
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_der_T%C3%A4ufer
K
Kalvaria (Kalvarienberg)
Ein immer wiederkehrender Topos in den → Standreden ist der Vergleich der → Richtstätte mit Golgotha. Die Richtstätte sollte nicht nur ein Ort der Gerechtigkeit für die Verbrecher darstellen, sondern, wie es in einer Standrede von 1861 bei der → Hinrichtung vierer → Raubmörder in Ramserngraben heisst, auch an «meine und deine und des ganzen Volkes Sünden» erinnern (STR_1861b). Durch die Standrede nach der Hinrichtung von Anton Senn (STR_1842a) erfährt man ausserdem, dass es Teil des Vorbereitungsprozesses sein konnte, die Hinzurichtenden auf einen Kalvarienberg (Nachbildung der → Passion Christi) zu führen, um des Tods Jesu zu gedenken.
Kanzel
Viele Prediger betonen in den → Standreden den bedauernswerten Umstand, dass sie von der «furchtbar-schrecklichen» oder «blutigen» Kanzel auf der → Richtstätte hinab zum Volk sprechen müssen. In einer Standrede von 1834 nach der → Hinrichtung Kaspar Fröhlichs spricht der Pfarrer vom Predigerstuhl, von dem aus er zu den → Zuschauenden spricht, als einer «Stätte des Fluches» (STR_1834a (PDF, 900 KB)).
Kinderspiel
Bei der → Hinrichtung war jeweils die ganze Bevölkerung des Ortes anwesend, auch Kinder und Jugendliche. Das Thema wurde infolgedessen auch unter Kindern verhandelt – meistens in Form von Spielen. So ist bekannt, dass es Spielzeug-Guillotinen gab und in den Quellen sind Erzählungen von nachgeäfften Hinrichtungen überliefert, welche schiefgegangen sind. Urs Herzog interessierte sich auch für die Parallelen zu aktuellen Debatten – insbesondere für die Berichterstattung über Fälle von nachgespieltem Erhängen nach Saddam Husseins Hinrichtung oder die viel diskutierte Frage, ob Computerspiele die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen fördert.
Kinderzucht
siehe unter → Erziehung
Kindsmord
Der Kindsmord war ein Delikt, das mit dem Tod bestraft wurde. Ausserdem war Kindsmord ein typisches Frauendelikt – deutlich weniger Männer wurden deswegen verurteilt. Der Grund für die Tötung des eigenen Kindes lag oft in dessen Unehelichkeit und damit verbunden der Furcht der Frauen vor gesellschaftlicher Ächtung. Urs Herzog interessierte sich dabei auch für die literarische Verarbeitung dieser Deliktart wie beispielsweise der Gretchentragödie in Goethes Faust, Schillers Gedicht Die Kindsmörderin oder Hauptmanns Drama Rose Bernd. Ausserdem scheint für ihn die historische und kulturelle Bedingtheit des Konzepts der Mutterliebe wichtig gewesen zu sein.
Mit Belehrung vermischte Geschichte der Kinds-Mörderin M. H. von T. welche zu Arau der 2. Merz 1779 ist hingerichtet worden, Basel 1779.
Geschicht und Begebenheit einer jugnen Kindsmörderin, Namens: Barbara Fluck, von Dynhart..., Nebst Gedanken eines jungen Zürcherischen Landmanns, über die Hinrichtung dieser Person..., Wiedlisbach 1792.
Kirchenbusse
Wie die → Standreden exemplarisch aufzeigen, war die Strafpraxis lange nicht eindeutig der weltlichen Sphäre zugeschrieben. Ein Teil einer öffentlichen Strafe war die Kirchenbusse. Eine Person, die eine Sünde begangen hatte, musste → Busse in der Kirche vor der Gemeinde leisten, bevor sie von der weltlichen Obrigkeit zur Strafe gezogen wurde. Bei einer öffentlichen Busse in der Kirche wurde zu einer bestimmten Zeit von einem Geistlichen, von der Kanzel herab, dem Sünder oder der Sünderin eine Strafpredigt gehalten. Die büssende Person war während ihrer Busszeit aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen und hatte erst nach Ableistung der Strafe die Möglichkeit, wieder in die Kirchgemeinde aufgenommen zu werden. Wie auch in den Standreden klar ersichtlich wird, war ein Ziel der Strafpraxis, dass die Delinquenten nach ihrer Strafe – oder bei Hinrichtungen vor dem Vollzug der eigentlichen Strafe – mit Gott wieder im Reinen waren.
Schreiben eines Geistlichen über die Abschaffung der Kirchenbusse, in: Journal für Prediger, Band 16, Halle 1785, S. 202-207.
Kleid
Für den → Gang zur Hinrichtung wurde einer hinzurichtenden Person typischerweise ein Sterbekleid oder ein Sterbekittel angezogen. Bei Mörderinnen oder Mördern war dieses häufig rot. Das Anlegen des Sterbekleids und andere Rituale wie das Schneiden der Haare oder das → Binden der Hände des Delinquenten, die vor der oder auf dem Weg zur Hinrichtung durchgeführt wurden, hatten eine starke symbolische Funktion. Sie waren für die → Zuschauenden Zeichen der Sünde und des baldigen Todes und auch eine Form von Entehrung. «Ach gott, es war ein armer, elender anblick von aim mentschen; er dratt daher in ainem langen bedtelgrawen rock und gieng barfus, het kain hosen an.», steht in der Ulmer Chronik von Sebastian Fischer aus dem 16. Jahrhundert. Urs Herzog interessierte sich auch für die Entkleidung der Delinquenten, die oft vor dem Vollzug einer → Hinrichtung stattfand. Er bringt sie mit der Entkleidung Jesu bei vor seiner → Kreuzigung in Verbindung.
Kreuz
Das Kreuz spielte bei der → Hinrichtung eine wichtige Rolle. In Form des sogenannten Armesünderkreuzes, welches bei der → Ausführung in der Nähe der → Richtstätte stand, diente es zur Reuedemonstration vor der Hinrichtung. Ausserdem sollte vor und bei der Hinrichtung stets ein Kruzifix zugegen sein – dies war auch von der Constitutio Criminalis Carolina so vorgesehen. Üblich war, dass die Delinquenten das Kreuz küssten, um abermals Reue zu zeigen und ihrer Hoffnung auf Vergebung Ausdruck zu verleihen. In diesem Sinne war es wohl besonders schlimm, wenn ein Verbrecher «sine crux, sine lux» sterben musste. Der sogenannte Kreuzweg (lat: via crucis) bezeichnet eine dem Leidensweg Christi nachempfundene → Andachtsübung, an der die einzelnen Stationen dieses Weges begangen werden.
L
Lebensabspruch
Einer Person, die zur → Hinrichtung verurteilt wurde, wurde offiziell das Leben abgesprochen beziehungsweise der Tod angekündigt. Der «Lebensabspruch» erfolgte in Form einer Rede, vorgetragen teilweise von Pfarrern oder von Mitgliedern der weltlichen → Obrigkeit. Der Lebensabspruch verkündete das endgültig gefällte Urteil der Todesstrafe.
Lektüre / Lesen
Um 1800 kam es zu einem Anstieg an Lesestoffen und einer Vergrösserung der Gruppe der Lesenden. Im Kontext dieses Lesebooms kam dem Lesen eine ambivalente Bedeutung zu. Es herrschte die Vorstellung, dass es schlechte und gute Lektüre gab. Das Lesen von schlechten Büchern, wozu insbesondere Romane zählten, konnten zur Sucht und damit zur Sittenverderbnis führen. Als von der Lesesucht gefährdet betrachtete man vor allem Frauen und junge Männer. Das Lesen von schändlichen Texten konnte sogar verbrecherisches Verhalten begünstigen. So bekannte sich zum Beispiel der Delinquent Andreas Walser 1815 in der Standrede des «Lesens verderblicher Geschichts-Bücher und besonders der Romane (Liebes-Geschichten)» schuldig (STR_1815a (PDF, 1 MB)). Das Lesen sollte aber auch einen positiven Effekt auf verdorbene Menschen haben: So wurden den Gefängnisinsassen nicht selten gute (also geistliche) Texte zur Erbauung in die Zelle gegeben.
Letzte Worte
Sehr oft werden in den Standreden die letzten Worte der hinzurichtenden Person zitiert, die sie angeblich im Gefängnis oder manchmal auch auf der → Richtstätte geäussert hat. Diesen wurde ein spezielles Gewicht zugemessen. In diesen letzten Worten baten die Hinzurichtenden – gemäss den Predigern – meistens um die Gnade Gottes und beteuerten nochmals ihre Reue. Manche betonten auch die Gerechtigkeit des Urteils und der Strafe. «An diesen Ketten zieht mich Gott vom Verderben zurück. Ich werde das Gefängnis nicht verlassen, ohne sie noch zu küssen, denn ihnen verdanke ich unter Gottes Leitung ewiges Leben.» (STR_1808a (PDF, 1 MB)), sollen Caspar Kiers letzte Worte laut einer Predigt nach seiner Hinrichtung 1808 gewesen sein.
Lieder
Im Gefängnis wurden den Delinquenten auch Gesangsbücher bereitgestellt. Quellen aus dem 18. Jahrhundert berichten davon, dass Delinquenten im → Gefängnis regelmässig geistliche Lieder sangen. Das Singen von Liedern konnte auch Teil des → Ausführungsrituals sein. Manchmal wurde auf der → Richtstätte oder nach der → Hinrichtung noch ein «letztes Lied» gesungen.
Drey schön newe geistliche Lieder auff den geistlichen Stand also zusamen gericht, das erste: gegrüsst seyst du Francisce, du engelischer Mann etc., das ander: o weh wie ist meim Hertzen, wie lang ist mir die Zeit etc., das dritte: so ein Fenderich gemacht, und hernacher ein Capuciner worden, Augsburg 1656.
Vier schöne geistliche Lieder. Das erste: Was lebet und schebet, was Athem nur hat...das ander: Werde munter, mein Gemühte...das dritte: O Gottes Statt, o himmlisch Liecht...das vierdte: Der hat einen Schatz erfunden, besser dann arabisch Gold...,gedruckt im Jahr 1657.
Zwey geistliche Lieder von des Menschen Fehl und syner Erlösung durch Christum ..., anstatt eines ringsinnigen Schwaben-Lieds, zu einem glückseligen Neuenjahr aufgesetzt, 1667.
Zwey geistliche Lieder, das erste: das guldene A B C, in seiner eygnen Melodey ... das ander: was lebet was schwebet, was Athem nur hat, 1683.
Johann Jacob Mosers ... gesammlete Lieder. So zum Theil schon Vormals gedruckt, zum Theil aber bishero noch ungedruckt gewesen, mit gedoppelten Registern, Zweiter Band, Stuttgart 1767.
Fünf neue Lieder. Das Erste: Ein junger Knab gieng spatzieren ..., Das Fünfte: Trauerlied von dem Bergsturze im Kanton Schwyz, 1806.
Schauderthat und Hinrichtung des Raubmörders Johann Lau, bei Itzehoe, am 18. December. Nebst einem Liede, Hamburg 1856.
M
Maiobanus, Ambrosius
https://data.cerl.org/thesaurus/cnp01875336
Maleficant
Urs Herzog interessierte sich unter anderem für das variantenreiche Vokabular für den Verbrecher oder die Verbrecherin: «Maleficant», «Malefizperson», «Übelthäter», «Missethäter», «liederliches Gesindel», «schlimme, schalckhafftige Gesellen», «böse Buben», «Unholdin» etc. Interessant ist hierbei die ambivalente Rolle, die dem Maleficanten zukam. Einerseits war er ein Übeltäter, der (vorsätzlich) etwas Schlimmes getan hatte, andererseits aber war er auch ein armer Sünder, mit dem man → Mitleid haben sollte. Unbestritten war jedoch, dass die Person zu Recht bestraft wurde.
Maria
In Predigten und → Gebeten im Hinrichtungskontext spielte das Anrufen Marias eine wichtige Rolle. Besonders das Rosenkranz-Gebet und sogenannte «Marienpredigten» waren stark auf die Figur der Mutter Gottes ausgerichtet. Urs Herzog hat sich unter anderem stark für die Rolle von Maria als Vermittlerin, Beschützerin und Fürsprecherin interessiert. In vielen «Marienpredigten» wird Maria als Helferin, Retterin und Advokatin der Sünder dargestellt, die jene vor dem göttlichen Gericht in Schutz nehmen und verteidigen kann. In → Standreden, wie zum Beispiel einer von 1842, die der Pfarrer Georg Sigrist nach der → Hinrichtung von Anton Senn hielt, stehen dann oft Worte wie: «Ehrfurchtsvoll begrüsste er [Anton Senn] im Geiste die vom Leiden des Gottessohnes tief betrübte jungfräuliche Mutter, und empfahl sich kindlich ihrer Fürbitte.» (STR_1842a (PDF, 1 MB)). Auch Berichten von sogenannten «Marien-Mirakel» hat Urs Herzogs besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In solchen wird davon erzählt, dass Hinrichtungen oder auch andere tödliche Unglücke auf wunderliche Weise verhindert wurden. Solche «Wunder» – sofern als wahrhaftig erklärt – wurden oft der heiligen Maria zugeschrieben, die den Todgeweihten gerettet habe.
Memento mori
Der Memento mori-Topos fand auch Eingang in den Hinrichtungskontext. Laut zeitgenössischen Vorstellungen sollte der Gedanke an die mögliche → Todesstrafe die Menschen davon abhalten, etwas Böses zu tun. So schreibt etwa Jacob Meyer in seiner Maleficanten-Schul von 1694: «An unseren Tod gedenken machet uns fromm / wann wir an dises Ende gedenken / werden wir nimmer wissentlich übels thun.» (S. 256)
Hans Heinrich Meyer: Memento mori das ist Heilsame Betrachtung und Erinnerung dess Todes, Basel 1684.
Mensch/Tier
In sehr vielen → Standreden, besonders, wenn die hingerichtete Person einen Mord begangen hatte, wird der Aspekt des Tierischen im Verbrechen und der Sünde hervorgehoben. Nach der → Hinrichtung von Johann Arnold von Wykon 1846 spricht der Pfarrer Melchior Rickenbach davon, dass «der Lüftling durch das Laster, dem er fröhnt, aller menschlichen Gefühle entkleide und zum grausamen, blutgierigen Thiere wird.» (STR_1846e (PDF, 871 KB)). Das Tierische im Menschen wird mit Grausamkeit und Rohheit assoziiert und den speziell menschlichen, höheren Eigenschaften entgegengesetzt. Immer wiederkehrende Metaphern sind der Mensch als Wolf oder als Tiger, der über andere Menschen herfällt. In manchen Reden wird die Lasterhaftigkeit einer Verbrecherin oder eines Verbrechers auf eine «tierische» → Erziehung oder Lebensweise zurückgeführt. So hätten M. Kreszentia Seraphina Gigers Umstände dazu geführt, dass sie so eine Tat wie die Vergiftung ihres Ehemannes begehen konnte. «Arm, früh elternlose Waise, andern mehr zur Fütterung und zum Lastthierlein als zur Erziehung und Bildung überlassen, aufwachsend wie ein Wild im Walde ohne Schule und Unterricht», lautete die Beschreibung des Pferrers Johann Nepomuk Zürcher bei ihrer Hinrichtung 1836 (STR_1836b (PDF, 517 KB)).
Mitleid
Bei der Hinrichtung wurde erwartet, dass die Gemeinde für die Delinquenten betete und weinte, damit diese Gottes Barmherzigkeit erfahren würden. Vor allem Frauen waren in der zeitgenössischen Vorstellung empfänglich für empathische Gefühle. Die Prediger der → Standreden forderten die anwesenden → Zuschauenden nicht selten zu Mitleid mit den Verurteilten auf. So sagte Joseph Keller, Stadtpfarrer von Baden bei der Hinrichtung des Pfarrers Peter Welti 1834: «Habet Mitleiden mit dem Unglücklichen Hingerichteten; betet für seine unsterbliche Seele (…)» (STR_1834c (PDF, 1 MB)). Dies zeigt, dass äusseren Einflüssen bei der Erklärung von deviantem Verhalten eine gewisse Wichtigkeit eingeräumt wurde.
Motto (der Standrede)
Die Predigt bei der → Hinrichtung richtete sich oft nach einem Bibelzitat aus. Dieses wurde im → gedruckten Standredentext zitiert und erläutert und manchmal sogar auf das Titelblatt der Standrede gedruckt. Dabei gab es beliebte Sprüche, die immer wieder verwendet wurden, wie zum Beispiel: «Erlöse uns von dem Bösen» (Lukas 11,4); «Der Sold der Sünde ist der Tod» (Römer 6, 23); «Die → Obrigkeit ist Gottes Dienerin, dir zu gut; thust du aber Böses, so fürchte dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist eine Rächerin zur Strafe über den der Böses thut» (Römer 13, 4).
Mystische Hochzeit / Brautmystik
«Sie sah den Tag, an welchem sie von dieser Welt scheiden durfte, wie sie öfters aus eigenem Einfall, und mit heiliger Einfalt bezeugte, als ihren Hochzeittag [sic!] an.», hiess es in der → Standrede von 1801 nach der → Hinrichtung Maria Anna Wardts (STR_1801a (PDF, 2 MB)). Das Motiv der Brautmystik taucht in vielen geistlichen Liedern, Predigten und Reden auf unterschiedliche Weise auf. Das aus dem Alten Testament hergenommene Motiv bezieht sich auf die Vorstellung einer Vereinigung von Gott bzw. Christus und Mensch unter dem Bild der Vermählung. Bei Beerdigungs- oder Standreden war die Vorstellung, dass diese Vermählung am Tag des Todes im Himmel stattfinden würde. Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Mystische_Hochzeit
N
Neugier
Eine grosse Sorge der Prediger schien zu sein, dass die → Zuschauenden nur aus Neugier an die → Hinrichtungen kamen und sie als eine Art → Schauspiel betrachteten. Deshalb wurde das Publikum in den → Standreden immer wieder ermahnt: Eine Hinrichtung sollte nie aus Neugier besucht werden. Sie sollte für alle eine Abschreckung sowie ein Anlass zum ernsten Nachdenken über Sünde (vor allem auch die eigenen Sünden) und Gerechtigkeit sein.
O
Obrigkeit
Im Hinrichtungskontext ist eine enge Verschränkung der geistlichen und weltlichen Obrigkeit zu beobachten. Beide legitimierten sich gegenseitig: Die weltliche Obrigkeit sah sich selbst als Gottes Stellvertreterin auf Erden und dadurch verpflichtet, jegliche → Ärgernisse zu bestrafen. Die Geistlichen arbeiteten – wie das die Betreuung der Delinquenten im → Gefängnis und die prominente Stellung der → Standrede nach der → Hinrichtung zeigen – bei der Bestrafung von Verbrechen offenbar eng mit der weltlichen Obrigkeit zusammen. Vor allem die weltliche Obrigkeit war darum bemüht, sich als milde und gerechte Instanz zu inszenieren. In einigen Standreden ist darum von Delinquenten die Rede, die vor ihrer Hinrichtung der «wolweisen Obrigkeit» für das gerechte → Urteil gedankt hätten.
Jost Grob: Göttlicher und verbindlicher Gewalt der Oberkeit, vorgestellet jn einer Huldigungs-Predig bey dem Aufzug des wol-edel, gestrengen, frommen, vesten, ehrenvesten, fürnemmen, fürsichtigen und weisen Junkern Johann Jacob Schwerzenbachen, neu-erwehlten Landvogts der Herrschafft Wädischwyl, Zürich 1681.
Opfer
Der Topos des Opfers taucht im Hinrichtungskontext in verschiedenen Bedeutungen auf. Einerseits wird auf die Hinzurichtenden als «Schlachtopfer» eines Verbrechens oder der Sünde Bezug genommen. So zum Beispiel in der → Standrede nach der → Hinrichtung von Katharina Barbara Lottenbach 1824: «O es möge ihr blutiger Leichnam jeden → abschrecken von der Ungerechtigkeit […], von dem → Diebstahl besonders, welcher die hingerichtete zu seinem Schlachtopfer gemacht hat.» (STR_1824b (PDF, 578 KB)). Hierin findet eine interessante Umkehr vom Täter eines Verbrechens zum Opfer einer Sünde statt. Manchmal wird auch vom Verbrecher als «Opfer der Gerechtigkeit» oder «Opfer Gottes» gesprochen, das Funktion hat, die Gesellschaft zu warnen und abzuschrecken vor Sünden, → Ärgernissen und Verderbnissen und ein Beispiel für eine gerechte Strafe darstellt. Hier wird «Opfer» weniger im Gegensatz zu Täter, sonder im Sinne eines dargebrachten Opfers verstanden.
Ordo
Siehe Art. Ordo (Ordines) im Lexikon des Mittelalters. LexMA 6 (1993), Sp. 1436-1441.
P
Paradigmen
Bei den Paradigmen handelt es sich um biblische Beispiele für den Sündenfall und das darauffolgende Verzeihen Gottes. In Jacob Meyers Maleficanten-Schul von 1694 (S. 40ff.) werden solche «trostlichen Exempel Gottes» aufgeführt: darunter u.a. Loth, David, Salomon, Petrus, Maria Magdalena. Ein Paradigmengebet ist eine Anrufung Gottes um die Rettung des Sterbenden unter Berufung dieser v.a. alttestamentarischen Beispiele.
Passionsfrömmigkeit / Passio Domini
Anspielungen auf den Leidensweg Jesu kommen im Hinrichtungskontext sehr häufig vor. Dabei werden Vergleiche gezogen zwischen der → Ausführung und dem → Kreuz oder der Exekution und der Kreuzigung Jesu. → Hinrichtungen waren somit Anlässe, um dem Leiden Christi zu gedenken (siehe auch → Imitatio Christi)
Johann Rist: Der zu seinem allerheiligsten Leiden und Sterben hingefuhrter und an das Kreütz gehefteter Christus Jesus, Hamburg 1655.
Presse
Hinrichtungen fanden auch in der zeitgenössischen Presse Resonanz. So wurden bevorstehende Hinrichtungen in den Lokalzeitungen angekündigt und von schon geschehenen Exekutionen erschienen Berichte, die oft lebhaft und nicht selten mit direkter Rede vom Verbrechen und der Strafe erzählten. Es kam auch vor, dass der Standredentext in der Zeitung abgedruckt wurde. Ab ca. Mitte des 19. Jahrhundert konnte die Presse auch die Rolle der Kritikerin übernehmen. So liess beispielsweise die Neue Basler Zeitung am 8. April 1840 verlauten: «Während man in allen zivilisirten Staaten die → Todesstrafe als eine dem jetzigen Zeitgeiste misfällige Straffe abzuschaffen sucht, wird sie in Baselland zur Tagesordnung […]»
Artikel und Berichte über Hinrichtungen (teilweise Kritik an der Todesstrafe) aus Urs Herzogs Sammlung:
[-Zürcher Zeitung vom 12. August (Nr. 62): Artikel zu einer Hinrichtung in Spanien 1780.-]
Der Freimütige vom 27. Juni 1834 (Nr. 51) / 30. Juni 1834 (Nr. 52) / 1. September 1834 (Nr. 70) / 15. September 1834 (Nr. 74) / 22. September 1834 (Nr. 76) / 24. Oktober 1834 (Nr. 85) / 28. November 1834 (Nr. 95): Berichte über Anklagen und Urteile von Delinquenten gemäss der St. Gallischen Kriminalrechtspflege
Schweizerischer Beobachter vom 14. Oktober 1834 (Nr. 123): Kritik an der Todesstrafe
Schweizerischer Beobachter vom 18. November 1834 (Nr. 138): Artikel zu Pressefreiheit und Tortur
Schweizerischer Beobachter vom 11. Februar 1837 (Nr. 18): Kritik an Hinrichtung von Magdalena Zaugg in Bern
Schweizerischer Beobachter vom 18. November 1837 (Nr. 138): Begräbnis von Selbstmördern
Schweizerischer Beobachter vom 21. November 1837 (Nr. 139): Bericht über Selbstmord von Joachim Strasser in Arlesheim
Schweizerischer Beobachter vom 8. Mai 1838 (Nr. 55): Bericht über Hinrichtung Johann Jakob Bowalds
Schweizerischer Beobachter vom 27. Mai 1838 (Nr. 63): Begräbnis von Selbstmördern
Schweizerischer Beobachter vom 26. Juni 1838 (Nr. 76): Bericht über Hinrichtung Anna Freiburghaus
Schweizerischer Beobachter vom 4. August 1838 (Nr. 93): Bericht über Exorzismus in Baar
Schweizerischer Beobachter vom 27. November 1838 (Nr. 142): Artikel zuzr Revision der Strafgesetze in St. Gallen
Der Wächter vom 26. Juli 1839 (Nr. 59): Bericht zu einer neuen Strafanstalt in St. Gallen
Der freie Schweizer vom 6. Februar 1846 (Nr. 6): Kritik/"Besprechung" einer Standrede bei der Hinrichtung Jakob Müllers in Luzern
Prokop von Templin
https://de.wikipedia.org/wiki/Prokop_von_Templin
Prokop von Templin: Funerale, Das ist: Hundert vnnd Funffzig Todten- oder Leich-Predigen, Jn vier Opuscula abgetheilt: Das Erste/ Universale ... Das Andere/ Dominicale ... Das Dritte/ Indifferentiale ... Das Vierdte/ Casuale ...Salzburg 1670.
Prozession
In seiner angefangenen Publikation zu den Standreden bemerkt Urs Herzog, dass die → Ausführung der Delinquenten zur Richtstätte zu Fuss in der Art einer Prozession (kirchlicher Umzug) oder eines Leichengeleits erfolgte. Zum Thema Prozession hat er in seiner Kartei zudem einige Quellen zum Einzug Jesu in Jerusalem gesammelt.
Psychologie
Unter dem Stichwort der Psychologie oder der Seelen-Lehre hat Urs Herzog Quellen gesammelt, in denen der Frage nach der inneren Verfassung der Verbrecher nachgegangen wird. Die Täter werden darin charakterisiert und davon ausgehend werden Erklärungen für die Tat gesucht. Die Annahme setzte sich durch, dass sich böse Eigenschaften bereits in der Kindheit zeigen würden. Eine typische Quellengattung ist die Lebensbeschreibung, worin die Lebensgeschichte des Verbrechers aufgerollt wird – häufig beginnt die Erzählung in der frühen Kindheit, wo erste Ansätze zur Aufklärung der Geschichte des Verbrechens gesucht werden.
R
Rabenstein / Raben
«Rabenstein» war die volkstümliche Bezeichnung für eine aufgemauerte → Richtstätte. In Jacob Döplers «Theatrum Poenarum» von 1697 wird die Herkunft des Wortes erklärt: «Raben-Stein heisset der Orth deswegen, weil die Raben derer auf Räder allda gelegten, oder an Galgen gehengten Cörper zerhacken und fressen, auch sich deshalber an solchen Orthen häufig einfinden und aufhalten» (S. 602). Der Rabe galt allgemein als «Galgenvogel» und als Symbol des Todes, weshalb Raben oft in den Quellen zu Hinrichtungen vorkommen.
Räuber
Raub und Diebstahl gehörten als Verbrechen am Eigentum lange zu den schwersten Verbrechen und wurden oft mit dem Tod bestraft. Urs Herzog hat sich insbesondere für die historische und literarische Darstellung von Räuberbanden und berühmten Räuberfiguren wie den 1731 in Zürich hingerichteten «Schwarzbeck» oder den deutschen Räuber «Schinderhannes» (Johannes Bückler) interessiert.
Johann Georg Schmidt: Des Johann Georg Schmidts, sogenandt, Schwarz-Beck, Bekandtnussen und seine mehrere Vergicht als dessen Executions-Urtheils, so an ihme den 27. Hornung zu Bern vollzogen worden, 1731. ZB, Signatur: 18.219,4
Rhegius, Urbanus
https://de.wikipedia.org/wiki/Urbanus_Rhegius
Religion
Zu diesem Stichwort hat Urs Herzog vor allem Erwähnungen der religiösen Verfassung oder → Erziehung der Delinquenten in den → Standreden oder Lebensbeschreibungen gesammelt. In sehr vielen Fällen wird das sündhafte Verhalten auf einen Mangel an religiöser Erziehung oder ein Abfallen von der Religion zurückgeführt. Oft seien die Delinquenten im Kindesalter oder in der Jugend nicht gerne oder gar nicht zur Schule und in den Gottesdienst gegangen. Ohne Religion aber, so die Ansicht der Prediger, sei der Mensch ein schwankendes, schwaches Wesen, das keinen Leitfaden für sein Handeln hat und deshalb leichter zum Verbrecher wird.
Richtstätte
In Zürich befand sich die Richtstätte in Albisrieden auf dem Areal des heutigen Freibads Letzigraben, direkt im Blickfeld der verkehrsreichen Badenerstrasse. Die Richtstätte als Ort der vollzogenen → Hinrichtung wird auch in den → Standreden oft thematisiert. Darin fanden die Prediger verschiedene Ausdrücke für den Richtplatz: z.B. «Schauder-Scene», «Stätte des Entsetzens», «Opferstätte der Sünde», «Blutgerüst», «Rabenstein», «furchtbareKanzel» oder «Blutbühne». Urs Herzog interessierte sich u.a. für die metaphorische Bezeichnung der Richtstätte als Kanzel, von welcher der Pfarrer zur Gemeinde sprach. Ausserdem spannend ist die Wortwahl der «Bühne» – nach dieser Vorstellung wurde die Hinrichtung als → Schauspiel regelrecht aufgeführt. Allein die physische Präsenz der Richtstätte vor den → Stadttoren sollte eine abschreckende Wirkung haben und als Exempel dienen.
S
Schächer
vgl.Dismas
Schande
Hingerichtet zu werden, galt allgemein als schmählicher Tod. In den → Standreden wird die Schande der Hingerichteten betont, gleichzeitig aber auch, dass die schuldlose Familie nicht von dieser Schande betroffen sein dürfe. Die Schande, die eine → Hinrichtung begleitete, sollte vor allem eine Warnung und Abschreckung für die Familie und für das ganze Publikum sein. «Und deine Schand wird deinem Weib und Kindern eine Wahrnung sein, dass sie nicht auch in Schand gerathen.», hiess es in Jacob Mayers Maleficanten-Schul von 1694.
Scharfrichter
Neben der Vollführung der → Hinrichtung kamen den Scharfrichtern an vielen Orten noch weitere ordnungs- und gesundheitspolizeiliche Aufgaben zu: So fungierten sie mancherorts als Bordellwirte, hatten die Selbstmörder zu beerdigen oder Aussätzige aus der Stadt zu vertreiben. Ausserdem widmeten sich die Henker oft der Herstellung von (zauberkräftigen) Arzneien. Ihnen haftete kein guter Ruf an: Das Haus des Scharfrichters stand am Rand oder knapp ausserhalb der Stadt und ihnen wurde meist kein vollwertiges Bürgerrecht gewährt. Eine schlecht ausgeführte Hinrichtung – d.h. wenn der Tod erst nach mehreren Versuchen eintrat – konnte der Reputation des Henkers wiederum schaden. Da die Heirat in eine Henkersfamilie mit einem Ehrverlust verbunden war, blieb den Nachfahren des Scharfrichters oft nur die Möglichkeit, Angehörige anderer Henkersfamilien zu heiraten. Dies führte dazu, dass der Henkerberuf oft lange in einer einzigen Familie blieb. Zur Familie Volmar, die das Henkeramt in Zürich, Winterthur und an anderen Orten über Jahrhunderte ausübte, vgl. den Artikel im HLS.
Tommaso Garzoni: Von Scharpffrichtern oder Henkern, in: Piazza Universale, das ist, Allgemeiner Schawplatz oder Marckt und Zusammenkunfft aller Professionen, Künsten, Geschäfften, Händeln und Handwercken so in der ganzen Welt geübt worden...., Franckfurt am Mayn 1629, S. 506-508..
Jacob Schmid: Das von der Welt verachtete, bei Gott angenehme Völcklein: Das ist, unterschidliche Geschichten von allerhand heiligen Gerichts-Dienern, Schörganten, Kercker-Hüttern und Wächtern...Dessgleichen von allerhand heiligen Scharpffrichtern und Henckersknechten, welche vor Zeiten auf diese Welt veracht, nunmehro in dem himmel herrliche Glory genüssen, allen denen, die sich gleichen Stands befinden, zum Nutzen und Beispihl vorgestellt, Augspurg und Würzburg 1752.
Schauspiel
Die Analogie zwischen → Hinrichtung und Schauspiel wird in verschiedenen Quellen und in der Sekundärliteratur zum Hinrichtungskontext immer wieder aufgegriffen. In den → Standreden werden für die Hinrichtung öfters Wörter wie «Schauspiel», «Spectacel», «Trauerspiel» oder «Jammerscene» für die Richtstätte Wörter wie «Blutsbühne» oder «Blutgerüst» verwendet. In der Standrede nach der Hinrichtung von M. Kreszentia Seraphina Giger 1836 hiess es zum Beispiel: «Jesus Christus, lasse den Eindruck, den dieses traurige Schauspiel auf uns gemacht, nicht mit dem heutigen Tage schon wieder verschwinden, – denn es war ein Mensch, – der hingerichtet wurde, und Menschen sind wir auch!!!» (STR_1836b (PDF, 517 KB)). Oft wird die Analogie aber auch zur Ermahnung der → Zuschauenden gebraucht. Diese sollten eine Hinrichtung nie nur aus Neugier wie ein Schauspiel ansehen. Auch solche, die sich (vor allem später) kritisch zur → Todesstrafe äusserten, sprachen von der Hinrichtung als «Schauspiel», das das Leid der Verbrecher auf schreckliche Weise zur Schau stellte und zur Unterhaltung für die Bevölkerung diente.
Selbstmord
Selbstmord galt lange als Verbrechen. Die sogenannte «Selbstentleibung» verletzte die christliche Pflicht der Selbsterhaltung und negierte Gottes →Vorsehung für das individuelle Leben des Menschen. Niemand ausser Gott konnte und sollte den Zeitpunkt des eigenen Todes bestimmen. Trotz des lasterhaften Verhaltens erhielten Verbrecher, die auf der → Richtstätte starben, die Möglichkeit, einen seligen Tod zu sterben. Dafür mussten sie Reue zeigen und → Busse tun. Für Selbstmörder gab es diese Möglichkeit nicht mehr, deshalb blieb ihnen ein christliches → Begräbnis meistens verwehrt.
Johann Caspar Ulrich: Herrn Joh. Jacob Hegners, Pfarrers zu Seuzach, gründliche Betrachtung über die Selbst-Entleibung, welcher beygefügt ist eine Predigt über eben diese wichtige Materie, Zürich 1767. ZB, Signatur: 18.592,5
Johann Konrad Bänzinger: Predigt, veranlaßt durch zwey Selbstmord-Fälle, die sich in der Gemeinde Wattweil, Canton St. Gallen innert 5 Tagen ereignet hatten, St. Gallen 1813.
Sicherheit
Sicherheit konnte im theologischen Sinn die Bezeichnung eines Lasters sein, das in eine Reihe mit Trägheit, Frechheit und Gottlosigkeit gesetzt wurde. In Grimms Deutschem Wörterbuch (Bd. 16, Sp. 724) wird «Sicherheit» im theologischen Sinn als «fertigkeit, sich eine unbegründete abwesenheit der gefahr, besonders in ansehung seines verhältnisses gegen gott einzubilden» definiert. Als «sicher» in diesem Sinn galt jemand, der nie an seiner Seligkeit und an seinem guten Glauben an Gott zweifelte, sondern sich seines Heils sicher ist. In der Standrede zur → Hinrichtung der beiden → Diebe Anton Heckli und Johannes Schneider klagte Johannes Spörlin: «Lernt ach! – lernt an unserm traurigen Schicksaal – wohin Geiz, Habsucht, Müssiggang, Schwelgerei und Wollust den unglücken Menschen verleiten, der seines Gottes vergiss und seine Seele in sorgenlose Sicherheit einwiegt!» (STR_1783a, S.9 (PDF, 1 MB)) Der Ausdruck wurde im 18. Jahrhundert auch in Bezug auf die ganze Gesellschaft verwendet. So klagten einige über die «heutige sichere Welt».
Soziale Verpflichtungen
Mit der Aufklärung setzte sich die Annahme durch, dass Erziehung und Unterricht einen wesentlichen Einfluss auf das Werden eines Menschen hätten. In → Standreden wurden daher oft Eltern oder Waisenämter direkt ermahnt, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder dank guter Erziehung und Bildung nie so enden würden wie der hingerichtete Delinquent. Weiter nahm man eine gewisse soziale Verantwortung für die Kinder der oder des Hingerichteten wahr, die dann wiederum zu Waisen wurden und daher besonders anfällig für lasterhaftes Verhalten zu sein schienen. Im 19. Jahrhundert sind in einigen Standreden gar soziale Forderungen nach Besserungsanstalten wie → Zucht- und Arbeitshäusern zu beobachten: Durch die Bestrafung mit solchen Mitteln würden die Verbrecher von der Gesellschaft entfernt, jedoch könne man der Gemeinde den schlimmen Anblick der Hinrichtung ersparen.
Stadttor
Die Richtstätte befand sich in der Regel ausserhalb der Stadt (extra muros). Eine hinzurichtende Person wurde durch das Stadttor «ausgeführt». Die Ausführung erfolgte vom Stadtinnern durch das Stadttor – meistens durch das Haupttor, wie in Zürich zum Beispiel das Rennwegtor – zum Ort der Hinrichtung. Das Stadttor symbolisierte so nicht nur die Trennung der Stadt vom Umland, sondern auch die Grenze eines besonderen Rechtsraums.
Standrede
Die Predigt, die nach der Hinrichtung vom Geistlichen gehalten wurde, wurde meistens Standrede genannt. Daneben tauchen in den Quellen weitere Begriffe auf, die dasselbe oder ein vergleichbares Phänomen bezeichnen. Dazu gehören u.a.: Standesrede, Standpredigt, Stockrede, Anrede, Trauerrede, Galgenrede, Warnungsrede, Schafottrede.
Stephani, Matthias
https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Stephani
Stephanus
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephanus
Strafe (Arten)
Urs Herzog hat unter anderem viel Material zu den verschiedenen Arten der (Todes)strafe gesammelt. Darunter befinden sich die Steinigung, das Erhängen am Galgen, das Brandmarken oder Abschneiden bestimmter Körperteile (vor allem bei Dieben), das Rädern, das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, das Ertränken (zum Beispiel, indem ein Stein an den Hals gebunden wurde), das Ausschleifen, oder der Tod durch das Schwert. Als besonders schlimme Strafen wurden das Steinigen und das Rädern angesehen. Der Tod durch das Schwert hingegen galt als ehrenvollste unter den Strafen. Eine für Diebe typische Strafe war das Erhängen am Galgen.
Kriminal-Straf-Gesetz und daheriger Rechtsgang für die Stadt und Republik Luzern vom 18ten Hornung 1827, Luzern 1827.
Constantin Siegwart-Müller: Das Strafrecht der Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus, Zug und Appenzell, St. Gallen 1833, S. 135-145.
Strafe Gottes
Die → Todesstrafe wurde gemeinhin auch als Strafe Gottes für die Lasterhaftigkeit oder Gottvergessenheit der Delinquenten gesehen. Aber nicht nur Strafen für bestimmte Verbrechen, sondern auch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Brände, Hungersnöte oder Seuchen wurden oft als Strafen Gottes für die Sünden der Menschen im Allgemeinen betrachtet. Vgl. → Zorn Gottes
Daniel Bilger: Der nützliche Gebrauch der Gerichten Gottes in einer Evangelischen Predigt seinen Zuhörern vor St. Martin vorgestellt, Chur 1776.
Schriftmässige Gedanken von göttlichen Strafgerichten. Zur Verbesserung der Lehrart in Predigten dieser Art, aufgesetzt von M. Johann August Weise, Pfarrer in Erbesgrün, Wolfshagen und Schönbrun im Voigtlande, Gera 1783, Besprechung in: Journal für Prediger, Band 15, Halle 1784, S. 240-243.
T
Teufel
Lange glaubte man, dass der Teufel als Inbegriff des Bösen bei Verbrechen seine Finger im Spiel hatte. Der Teufel-Topos wurde bemüht, um Erklärungen oder Entschuldigungen für Verbrechen zu finden. So seien Verbrecher von Satan verblendet und verführt worden oder man glaubte, Hexen zu identifizieren, die im Dienste des Teufels unterwegs waren.
Todesstrafe
Urs Herzog hat viel Material zur umfassenden Geschichte der Todesstrafe gesammelt. Er hat sich besonders für ihre Rechtfertigung aber auch für kritische Bemerkungen gegenüber der Todesstrafe zu verschiedenen Zeiten interessiert. Ausserdem hat er Quellen und Literatur zur Abschaffung der Todesstrafe in verschiedenen Ländern sowie zu Orten gesammelt, an denen die Todesstrafe noch heute in Gebrauch ist.
Hieronymus Schaitter: Rosen-Zaun Wider Andringendes Unheil des Leibs und der Seelen : Das ist: Geschicht- und andere Predigen Von Maria der allerseeligisten Mutter Gottes/ und Dero heiligen Rosen-Crantz, Augsburg 1715.
Hinweise auf die Geschichte der T. in der Schweiz
Trost
Eine Aufgabe der begleitenden Pfarrer war es, den Delinquenten, die den Tod erwarteten, Trost zu spenden. Zu diesem Zweck gab es Erbauungs- oder Trostbücher, die Anweisungen für Prediger enthielten. Der Trost für die Delinquenten bestand darin, dass sie – sofern sie Reue zeigten und ihren Glauben zu Gott bekannten – Hoffnung auf die Vergebung Gottes nach dem Tod hatten und einen seligen Tod finden konnten. Manchmal wurden bei den Hinrichtungen neben oder anstatt der Standreden auch Trostreden gehalten.
Buss-, Trost- und Vermahnungs-Rede an einen unglückseligen, in tödlichen Banden sich befindenden Sünder, bey Gabriel Gaudard, Buchbinder ob der Schaal, Bern 1737.
U
Urteil
Die Urteile, die über die Delinquenten gesprochen wurden, wurden in der Regel publik gemacht. Bei einem zu Tode verurteilten Verbrecher wurde das Todesurteil meistens vor dem Gang zur Hinrichtung vor dem Rathaus öffentlich verlesen. Ausserdem wurde das Urteil oft dem Druck der Standrede beigefügt und so verbreitet.
Urtheil und Recht, über die begangene Mordthat, jener Maleficanten ledigen Manns-Persohn, Nahmens Leander Grillo, Wien 1718.
Wohl-verdientes Todtes-Urtheil, 2. verheyrathen Manns-Persohnen, Nahmens Mathias P. ... und Anton H., Wien 1746.
V
Verzweiflung
Der Gemütszustand eines Verbrechers während der Tat wurde vor allem im 19. Jahrhundert in den → Standreden und Lebensbeschreibungen oft als verzweifelt beschrieben. So spricht Johann Jakob Bossard vom «Blutschänder und Kindesmörder» Joseph Steiner als «auf dem höchsten Punkte der Verzweiflung stehend, mit schon gebrauchtem Mordes-Instrumente in der Hand (…)» (STR_1824e (PDF, 379 KB)). Emotionen spielten also – so die zeitgenössische Vorstellung – bei solchen schlimmen Taten eine entscheidende Rolle. Ausserdem wurden Delinquenten, die im Gefängnis auf ihre Hinrichtung warteten, oft als verzweifelt beschrieben. Die Aufgabe der Kirche war es dann, ihnen in diesem Zustand Trost zu spenden.
Vorsehung
In den Standreden ist immer wieder von der Vorsehung Gottes die Rede. Man ging von einem allwissenden, allmächtigen und gerechten Gott aus, der den Lauf Dinge ordnet. So seien auch die → Todesstrafen von Gott gewollt und bestimmt: «Nachdem aber der Herr ihrem unordentlichen Leben ein Ende zu machen für gut fand, und sie deswegen der öffentlichen Gewalt überliefert hatte […]», hiess es beispielsweise in der «Predigt über die Gottesfurcht», die der Pfarrer Roman Heer nach der Hinrichtung der Kindsmörderin Maria Anna Wardt 1801 hielt (STR_1801a (PDF, 2 MB)).
Vorstellung
Die «Vorstellung» war in der kirchlichen Praxis eine Art der Strafe. Eine sündige Person musste sich vor Gott und die Gemeinde stellen, während ein Priester ihr ihre Sünden vorhält und sie zur Abbitte oder Busse ermahnt. Dies fand meistens in der Kirche statt, wo die christliche Gemeinde versammelt war. Die «Vorstellung» war eine öffentliche Zurechtweisung und Bestrafung, die für die → Zuschauenden als Warnung und Abschreckung dienen sollte. Vgl. Exempel
Theodor Zwinger: Ein christliche Busspredigt, von dem jämerlichen Zustand gottloser, und seligen Zustand frommer Leuthen, welche den 29. Juli, Ann. 1632, Zu Liechstal ... bey offentlicher fürstellung einer ergerlichen Person ... ist gehalten worden ..., Basel 1632.
W
Wahnsinn
Vielen Verbrechern wurde im Nachhinein Wahnsinn attestiert. In den Standreden oder Lebensbeschreibungen ist oft die Rede von einer Zeit der Verwirrung und Geisteskrankheit, die dann schliesslich im Verbrechen endete. So steht beispielsweise in der Standrede, die am 9. Mai 1824 in Grub im Kanton Appenzell gehalten wurde: «Aber die Verblichene war in den lezten zwey Monaten ihres Erdenlebens nicht mehr die gleiche Person, die sie ehedem gewesen ist und das muß man bedenken, ehe man urtheilt. Durch ein unglückliches Zusammentreffen der Umstände fiel sie in eine Krankheit, die Krankheit führte zum Wahnsinn, der Wahnsinn zum Mord.»
Wein
Es war ein Brauch, den verurteilten Verbrechern Speis und Trank zukommen zu lassen, um ihnen das bevorstehende Sterben zu erleichtern. Besonders die Frauen des Ortes zeigten durch diese Gaben ihre Barmherzigkeit. Dabei wurde von der Obrigkeit immer wieder zur massvollen Verabreichung von Wein aufgerufen, da man befürchtete, die Delinquenten würden sich bei übermässigem Konsum nicht mehr auf die Besserung ihres Seelenheils konzentrieren. Bei der Ausführung und kurz vor der Hinrichtung gehörte die Verabreichung von Wein ebenfalls zum rituellen Ablauf. Manche lehnten diese Gabe vor der Hinrichtung jedoch ab – wohl in Berufung auf Jesus, der die ihm verabreichte, schmerzlindernde Myrrhe in Wein auch abgelehnt haben soll (siehe Passio Domini).
Welt/Vanitas
Urs Herzog hat einige Quellen zum Thema Weltverachtung (contemptus mundi) gesammelt. In dieser Haltung wird das Irdische gering geschätzt und das ewige Heil nach dem Tod hochgehalten. Die Welt wird in diesen Quellen zum Teil als «eitel» (vanitas) bezeichnet: «Lernt denn in dieser Betrachtung die Welt, und deren eiteln Tand, und prächtige Phantasie verschmähen, und eure Herrlichkeit derselben. […] Sie meint zwar, dass sie etwas Grosses hat, und ist, wenn sie mit den vergänglichen Gütern dieses Lebens prangen kann», heisst es im Seelen-Schatz von Christian Scriver von 1737.
Christian Scriver: M. Christian Scrivers Seelen-Schatz, Vierdter Theil, darinnen von der menschlichen Seelen hohen Würde, tieffen ... Sünden-Fall, Busse und Erneuerung durch Christum ... gehandelt wird, vormahls in denen ordentlichen Wochen-Predigten seiner ... Gemeinde fürgezeiget ...Magdeburg, 1737.
Zwey schöne, ausserlesne newe geistliche Lieder, das erste: Von der Eytelkeit dieser stoltzen Welt, in seiner eygnen Melodey zu singen, das ander: Uss trurig betrübtem Hertzen, trybt mich zu singen an, wenn ich daran gedencken, wie es mir wirt ergahn...getruckt nach der Geburt Christi 1644.
Z
Zeitklage
In Standreden wird immer wieder auf die angeblich bedenklichen Zeiten hingewiesen. Das Verbrechen wird oft als Resultat von allgemeinem Sittenzerfall gedeutet. Die Welt werde immer schlechter und diese Entwicklung sei kaum aufzuhalten. Gottesvergessenheit und «Atheisterey» sind in den Predigten beliebte Topoi: Die Vernachlässigung von christlichen Pflichten könne zu Liederlichkeit, Verschwendung und unzähmbaren Leidenschaften führen. Unter anderem galt die Lesesucht als ein Symptom der immer schlechter werdenden Zeit. Die Prediger legten darum besonderen Wert darauf, die Zuschauenden zur guten (d.h. christlichen) Erziehung ihrer Kinder zu ermahnen: Nur so könne man in der bösen, verführerischen Welt bestehen.
Welche Sünde der heutigen Christenheit mag wol die wahre und einzige Ursache der gegenwärtig hereinbrechenden Gerichte Gottes über die Menschen seyn?, Frankfurt und Leipzig 1772.
Michael Bösch: Freymüthige Gedanken über den sittlichen Verfall seines Vaterlandes, sofern er dem gemeinen Wesen schädlich, und unmassgebliche Wünsche für Mittel, demselben zu wehren, Lichtensteig 1784.
Anonym: Klagstimme eines Predigers über das Sittenverderbniss unserer Zeiten, zu reiferm Nachdenken für Prediger, für hörende und nicht hörende Christen, Augsburg 1792.
Johann Tobler: Einige Gedanken über das Predigen in dem gegenwärtigen Zeitpunkt. Der zu Stalliken den 20. April 1802 versammelten Pastoralgesellschaft im Freyamtskapitel, Zürich 1802. ZB, Signatur: Gal Sp 300: c,17
Zorn Gottes
In Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts finden sich viele Berichte über Naturkatastrophen, die als Ausdruck des Zorns Gottes interpretiert wurden. Gewitter, Kometen, heftiger Schneefall und Ähnliches wurden als Vorzeichen der → Strafe Gottes oder als Strafe selbst für die Sünden und Verbrechen der Menschen gesehen. Manchmal wurden solche Ereignisse direkt mit den Verbrechen bestimmter Personen in Verbindung gebracht. Der Zorn Gottes wird in den Quellen als Ausübung von Gerechtigkeit aufgrund der Verletzung seiner Gebote durch den Menschen beschrieben und nicht etwa als willkürlicher Ausbruch von Wut eines grausamen Gottes - wie teilweise der Gott des Alten Testaments interpretiert wurde.
Fortsetzung von dem erschroklichen, umgekehrten sehr langen und überauß grossen Cometen, Zürich 1680.
Bartholomaeus Anhorn von Hartwiss: Wachende Rut am Himmel, und Zitter der Pfeileren der Erden, oder, Wolgemeinte Erinnerung an das liebe Christenvolck, wegen des alle Welt erschreckenden an dem Himmel leuchtenden grossen Cometen und die Grundveste der Erden erschüttenden Erdbidems, in den beyden Monaten December 1680 und Januario 1681, Zürich 1681.
Andreas Schmid: Die erwiesene göttliche Zornmacht in Offenbarung des Raubes auf dem Schloss zu Berlin, Berlin 1720.
Johann Rudolf Ziegler: Christholds erbauliche Gedancken über die sehr bedenckliche Brunst des Musshafens im Spital zu Zürich in der Nacht zwischen dem 14. und 15. Christmonat 1732 ..., Zürich 1732.
Die Stimme Gottes im Wetter, oder: Der durch das Strahl-Feuer Sonntags den 21ten Augstmonat angezündte und abgebrandte Gloken-Thurn zum Gross-Münster, erbaulich betrachtet, Zürich 1763.
Johann Jacob Wirz: Das erschreckliche Unglück über die Stadt Frauenfeld, in Empfindung des Zorneifers Gottes, wurde am zweyten Tage nach dem Brand, nemlich den 21. Heumonat 1771 in der evangelischen Kirche daselbst, über Amos IV. v. 11.12. bey volkreicher Versammlung wehmüthig vorgestellt, Schaffhausen 1771.
Ausführliche Beschreibung der förchterlichen Feüersbrunst, die den 14. Merz St. N. 1773 zu Marbach im Rheinthal einen grossen Theil des Dorfs in Asche verwandelt hat, samt einer beygefügten Abschilderung der abgebrandten und noch stehenden Häuser ..., Trogen 1773.
Zuchthaus
Im 19. Jahrhundert – u.a. im Zusammenhang mit der teilweise aufkommenden Kritik an der → Todesstrafe – mehrten sichsoziale Forderungen nach Zucht- und Arbeitshäusern. Es wurde in einigen Quellen diskutiert, ob eine solche Einrichtung nicht viel zielführender wäre als die Hinrichtung der Verbrecher: Man könne die Öffentlichkeit so nämlich ebenso sicher vor den Delinquenten schützen, gleichzeitig könnte deren Arbeitskraft aber noch für Nützliches eingesetzt werden.
Heinrich Balthazar Wagnitz: Über die moralische Verbesserung der Zuchthaus-Gefangenen. Halle 1787.
Zuschauer
Hinrichtungen sollten als öffentliches Ereignis (siehe auch Schauspiel) vor den Augen der Bevölkerung stattfinden, um diese abzuschrecken und sie so von sündhaftem Verhalten abzuhalten (siehe Exempel). Die Zuschauenden wurden durch die öffentliche Durchführung von Todesstrafen Zeugen des obrigkeitlichen → Urteils, dessen Gerechtigkeit in den Standreden betont wird. In manchen Standreden werden Zahlen von mehreren Tausend, in einigen sogar Zahlen zwischen 8'000 und 15'000 Zuschauenden angegeben, die angeblich aus verschiedenen Orten zu den Hinrichtungen kamen. Eine Funktion der Zuschauenden war auch die Teilnahme und das Mitleid für die «armen Sünder» und insbesondere für deren Familie. Ausserdem wird sehr oft betont, dass die Zuschauenden nie aus Neugier zu den Hinrichtungen kommen dürften.