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«Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst,
sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses thut.» (Röm 13,4)
Standreden waren an Zuschauer gerichtete Predigten, die meist unmittelbar nach der Hinrichtung am Richtplatz oder in der Kirche gehalten wurden. Neben Abschreckung und Vergeltung ging es bei Hinrichtungen nämlich immer auch um die Erlösung des Sünders nach dem Tod. Zu diesem Zweck wurde den Delinquenten zwischen Verhaftung und Todesstrafe ein geistlicher Beistand gewährt. Den Abschluss dieses Begleitungsprozesses bildete die Standrede.
In Standreden spiegelt sich die zeitgenössische Deutung von Kriminalität, von Strafgewalt und auch von Körperlichkeit und Tod sehr plastisch wider. Die Hinrichtungspraxis von der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert gibt Einblick in die enge Verflechtung von weltlichen Rechtsvorstellungen und der christlichen Lehre. Durch die von Urs Herzog gesammelten Quellen wird es insbesondere auch möglich, die Deutungen von angewandter rechtlicher Normativität jenseits der Diskurse von Gerichten und Gelehrten in den Blick zu bekommen. Die Erschliessung solcher Wahrnehmungshorizonte von Recht in Anwendung ist dazu geeignet, ein wichtiges Pendant zu den vielfältigen Bemühungen um die Aufarbeitung der frühneuzeitlichen Gerichtspraxis zu bieten. Die Texte stellen ausserdem eine literaturwissenschaftlich kaum erschlossene Gattung dar (einen Spezialfall der Homiletik). Interessant ist ferner, welche spirituellen/theologischen Topoi abgerufen werden. Insofern ist das Projekt ein interdisziplinäres.
Diese Website basiert auf dem Nachlass von Prof. em. Dr. Urs Herzog (1942–2015). Er hat während vieler Jahre nach seiner Emeritierung intensiv an einem Projekt zur kaum erforschten Quellengattung der sogenannten Standrede gearbeitet. Zusätzlich zu den Standreden hat er Quellen zum ganzen Kontext der schweizerischen Urteils- und Hinrichtungspraxis vom 16.–19. Jahrhundert gesammelt: Er interessierte sich unter anderem für das strafrechtliche Umfeld, Gefangenenseelesorge, Moraltheologie und die psychische Verfassung der Verurteilten.
Diese Website soll einen Überblick über das von Urs Herzog zusammengetragene Quellenmaterial schaffen und zu weiterführenden Forschungen anregen.
Mireille Schnyder, Leonie Rohner (Hg.), Standreden. Fünfunddreissig Hinrichtungspredigten als kulturhistorische Quellen. Chronos-Verlag Zürich 2023 (Schweizer Texte, Neue Folge, Band 59)
Bild: Enthauptung der Mörderin Christine Hilpert am 14. Februar 1851 in Ansbach. Zeitgenössische Lithographie.
Zitat: aus dem Römerbrief (Röm 13,4). Zitiert in vielen Standreden, unter anderem bei: Herenäus Haid, Eine kleine Rede an das versammelte Volk nach der Hinrichtung des Andreas Waser durch das Schwert der Gerechtigkeit am 18ten März 1815 zu St. Gallen, St. Gallen: Brentano, 1815, 8°, 16 S.