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«Barking Back» ist ein Projektvorhaben, das Hundebegegnungen im städtischen Umfeld aus einer holistischen wie fundamentalen Perspektive in den Fokus nimmt: Wir laden Hundehalter*innen dazu ein, ihren aus Spaziergängen, Spiel und Beschäftigung sowie Absolvierung von Kursen bestehenden Alltag mit Hilfe von erweiterten Videodaten (inkl. Eyetrackern) zu dokumentieren. Mit unserer Expertise in Ethnomethodologie und multimodaler Interaktionsanalyse wird es möglich, nicht nur grundlegende Eigenschaften der Hund-Mensch-Interaktion zu erforschen, sondern auch Konfliktsituationen wie Best Practices bei Begegnungen von Hunden, ihren Haltern und Mitmenschen im Detail zu untersuchen.
Die Forschungsfragen des vorliegenden Projekts lassen sich in zwei Bereiche aufteilen:
1. Fundamentale Erforschung der Hund-Mensch-Interaktion im (städtischen) Alltag:
Was sind die grundlegenden Eigenschaften der Hund-Mensch-Interaktion im städtischen Alltag? Welcher multimodaler Mittel und Ressourcen bedienen sich Hund wie Mensch, wenn sie miteinander interagieren? Wie lassen sich Regelhaftigkeiten in dieser sozialen Praxis der Hund-Mensch-Interaktion beschreiben? Und was für eine Rolle spielt der (städtische) Raum bei der Etablierung von Hund-Mensch-Begegnungen?
2. Das Setting «Mit Hund in der Stadt»: Angewandte Hund-Mensch-Interaktionsforschung
Wie laufen konkrete Begegnungen mit anderen Hunden und Hundehalter*innen sowie mit Mitmenschen aller Altersgruppen ab? Worin liegen potentielle Missverständnisse und Konfliktpotentiale und wie zeigen sich diese konkret? Wie lassen sich Best Practices bei Hund-Mensch-Begegnungen beschreiben? In welcher Form können Detailanalysen von aufgenommenen Daten den Hundehalter*innen und den Mitmenschen helfen, das eigene Handeln zu reflektieren? Was für präventive Vorkehrungen zu den bereits existierenden Massnahmen lassen sich treffen und wie können diese am besten in die Praxis umgesetzt werden?
Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen möchten wir interessierte Hundehalter*innen mit ihren Hunden einladen, bei unserem Projekt «Barking Back» mitzuwirken: Einerseits begleiten wir sie (indirekt, s.u. Datenerhebung) auf ihren regulären Spaziergängen und zusätzlich dazu beim Erlernen eines neuen Spielzeugs im eigenen Wohnzimmer mit Video- und Eyetrackinggeräten und generieren auf diese Weise Daten, die aus dem alltäglichen Hundehalter*innen-Leben gegriffen sind (Datengenerierung für den 1. Bereich, s.o. Forschungsfragen). Andererseits laden wir die Hundehalter*innen dazu ein, bei Datenanalysen dabei zu sein und in gemeinsamer Diskussion die Anwendung der Hund-Mensch-Interaktionsforschung auf das oftmals problematische Setting «Mit Hund in der Stadt» selbstreflexiv zu analysieren und an weiterführenden Fragestellungen mitzuwirken (Partizipativer Wissenstransfer im 2. Bereich, s.o.).
Bei unseren Analysen gehen wir nach der Methodik der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und der multimodalen Interaktionsanalyse (für eine Übersicht vgl. Sidnell/Stivers [Hrsg.] 2013, Deppermann 2013) vor. Dieses methodische Vorgehen begründet auch die Notwendigkeit der Datenerhebung in konkreten, alltäglichen Situationen (statt mit experimentellen Settings). Die Grundannahme ist es, dass soziale Praktiken nur auf den ersten Blick ungeordnet und chaotisch wirken, im Grunde genommen aber geregelt ablaufen und sozusagen Abbildungen von musterhaft ausgeprägten Alltagsroutinen sind (Garfinkel 1967, Garfinkel 1974). Für Hundespaziergänge, aber auch für die Beschäftigung beim Spielen oder Trainieren mit Hunden ist dies sicherlich ohne weiteren Erklärungsbedarf einleuchtend: Es sind oftmals Aktivitäten mit Ritualcharakter (gleiche Zeiten, gleiches Equipment, gleiche Abläufe). Ein entscheidender Vorteil des ethnomethodologischen Zugangs ist es, dass das analytische Vorgehen im Grund genommen genau das widerspiegelt, was der Laien bei Hundebegegnungen auch tut: Beobachten und analysieren, was sozusagen ‘auf der Oberfläche’ der konkreten Situation passiert, mit Hilfe all dessen, was gerade zu dem Zeitpunkt als Ressource zur Verfügung steht. Z.B. also, dass ich aufgrund gewisser Hinweise wahrnehme, dass mich der andere (der Hund, der*die Hundehalter*in) zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrgenommen hat (und umgekehrt auch erkennt, dass ich sie wahrgenommen habe, d.h. also die Etablierung einer so genannten Wahrnehmungswahrnehmung, vgl. Hausendorf 2003). Oder z.B. dass räumliche Gegebenheiten Interaktionen kanalisieren (enge Strasse, Hauseingänge, parkende Autos) und an die ich mich im Moment der Hundebegegnung – und wann fängt dieser Moment genau an? – anpassen muss. Es ist also ein analytisches Vorgehen, das auf den gleichen common sense Grundlagen von beobachtbaren Phänomenen basiert, das auch für Laien verständlich ist und das wir mit unserer Expertise lediglich auf einem sozusagen feinmaschigeren und achtsameren Niveau mit einem bereits etablierten wissenschaftlichen Begriffskatalog betreiben.
Was für menschliche Interaktionspartner bereits gut erforscht ist, möchten wir auch für die Hund-Mensch-Interaktion genauer unter die Lupe nehmen. Eine wichtige Prämisse der ethnomethodologischen Konversationsanalyse ist es, für die Analysen ‘echte’, oder, wie sie es nennt, ‘natürliche’ Daten zu Grunde zu legen, d.h. also tatsächlich stattfindende Gespräche und Interaktionen zu untersuchen. Was vor mehr als 60 Jahren mit Tonbandaufnahmen (von Telefongesprächen) begann, hat sich mittlerweile technisch verändert: Heutzutage arbeitet man in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse mit Videodaten, die dementsprechend auch multimodal – Gestik, Mimik, Körperhaltung und -bewegungen berücksichtigend – analysiert werden. Die multimodale Interaktionsanalyse, die in dem Sinne als Erweiterung der ethnomethodologische Konversationsanalyse zu verstehen ist, hat hierzu Methoden entwickelt, um diese ganzheitliche Betrachtungsweise zu ermöglichen (Deppermann/Streeck 2018, im Englischen auch unter dem Stichwort Embodied Interaction, vgl. Streeck/Goodwin/LeBaron 2011).
Für unsere Hund-Mensch-Interaktion ist diese multimodale Erweiterung essentiell, einerseits da die ‘Konversation’ über Sprache im verbalen Sinn hinausgeht und auf die kommunikativen Bedürfnisse des Hundes (mit stärkerem Fokus auf Gestik und akustischen Signalen) geachtet werden muss. Andererseits erweitern wir die Multimodalität der Analyse auch auf räumliche Ressourcen (Hausendorf 2015), da uns das städtische Umfeld und dessen Implikationen für Hund-Mensch-Begegnungen und -Interaktionen interessiert. Auch hier helfen uns Videodaten, um die Ganzheitlichkeit der Situation zu erfassen.
Ein entscheidendes Novum unseres Projekts ist es, dass wir dem Hund bzw. seiner Rolle in der Interaktion mehr Beachtung einräumen. Ohne Verhaltensforschung am Hund betreiben zu wollen und zu können (s.u. Stand der Forschung) möchten wir mit unseren Analysen Jörg Bergmanns Votum – «Zu neuen Erkenntnissen über das Verhalten von Haustieren wird die Untersuchung der Mensch-Tier-Kommunikation nur insoweit führen, als wir darin etwas über uns und unsere Kommunikationspraxis erfahren» (Bergmann 1988: 300) – entscheidend erweitern: Wir wollen in einer möglichst gleichwertigen Weise auch die Rolle des Hundes – seine agency, um mit der ANT-Theorie zu argumentieren (Pearson 2013) – in den Analysen miteinbeziehen und das Hund-Mensch-Paar als walking unit (Laurier/Maze/Lundin 2006: 20) verstehen (vgl. auch den Begriff des hudogledog: human-doglead-dog, Michael 2000).
Dieselbe Stossrichtung gibt die – unseres Wissens – einzige vergleichbare Untersuchung mit dem Titel «Putting the Dog Back in the Park: Animal and Human Mind-in-Action» von Laurier, Maze und Lundin (2006). Die Ethnomethodologen haben Videodaten von Hundespaziergängen in einem schwedischen Hundepark aufgenommen und erhellende Erkenntnisse über grundlegende Praktiken des «doing walking together with a dog» gewonnen: Etwa das Zusammen-einen-(Spazier-)Weg-verfolgen (mit abgeleintem Hund, der z.B. durch Stehenbleiben und Zurückblicken die Frage nach der Weiterführung des Wegs signalisiert), der Sequenzialität von Aufforderungsmomenten im Spiel (die an Paarformeln wie Rede-Antwort-Sequenzen erinnern, so genannte adjacency pairs, Sacks/Jefferson 1995) oder der verschiedenen Kategorisierungen von Teilnehmenden in einem Park, in dem Distanzen wie auch die Körperpositionen (body-to-body orientation) auf die Zugehörigkeit von Gruppen (wie dem*der Hundehalter*in und dem Hund) hinweisen.
Depperman, Arnulf (2013): Multimodal interaction from a conversation analytic perspective. In: Journal of Pragmatics 46, 1-7.
Deppermann, A./Streeck, J. (Hrsg.): Time in Embodied Interaction. Synchronicity and Sequentiality of Multimodal Resources. Amsterdam: John Benjamins, 1-29.
Garfinkel, Harold (1967). Studies in Ethnomethodology. Englewood Cliffs/NJ: Prentice Hall.
Garfinkel, Harold (1974). On the origins of the term «ethnomethodology». In: Turner, R. (Hrsg.): Ethnomethodology: Selected readings. Harmondsworth: Penguin Education, 15-18.
Hausendorf, Heiko (2003): Deixis and speech situation revisited. The mechanisms of perceived perception. In: Lenz, F. (Hrsg.): Deictic Conceptualisation of Space, Time and Person. Pragmatics & Beyond, Vol. 112. Amsterdam: John Benjamins, 249-269.
Hausendorf, Heiko (2015): Interaktionslinguistik. In: Eichinger, L. (Hrsg.): Sprachwissenschaft im Fokus. Positionsbestimmungen und Perspektiven. Berlin: De Gruyter, 43-70.
Laurier, Eric/Maze, Ramia/Lundin, Johan (2006): Putting the Dog Back in the Park: Animal and Human Mind-in-Action. In: Mind, Culture, and Activity, 13(1), 2–24.
Michael, Mike (2000): Reconnecting culture, technology and nature: from society to heterogeneity. London: Routledge.
Pearson, Chris (2013): Dogs, History, and Agency. In: History and Theory, Theme Issue 52 (December 2013), 128-145.
Sacks, Harvey/Jefferson, Gail (1995): Lectures on Conversation. Volumes I & II. 1. Oxford: Blackwell.
Sidnell, Jack/ Stivers, Tanya (2013): Handbook of Conversation Analysis. Malden: Blackwell Publishing.
Streeck, Jürgen/ Goodwin, Charles/ LeBaron, Curtis (Hrsg.) (2011): Embodied Interaction. Language and Body in the Material World. Cambridge: Cambridge University Press.
An diese Beobachtungen von Laurier, Maze und Lundin möchten wir anknüpfen, jedoch in einem umfangreicherem Masse und mit einer entscheidenden Veränderung des Aufnahmesettings: Statt zufällig anwesende Hund-Mensch-Paare von aussen durch Videoaufnahmen zu dokumentieren, werden in unserem Projekt beide Teilnehmenden – Mensch wie Hund – mit Equipment bestückt: Der Mensch mit einer Action-Kamera (ActionCam) und einem Eyetracker (s.u.) – der Hund ebenfalls mit einer ActionCam, die über eine Halterung auf den Rücken geschnallt wird. Erste Testaufnahmen haben gezeigt, dass es für eine vollumfängliche Dokumentation zwar ideal ist, möglichst auch das Paar ‘von aussen’, also mit weiterem Filmpersonal aufzunehmen. Anders als bei statischen Aufnahmen ist die Dynamik von Spaziergängen jedoch nicht zu unterschätzen, was zu einer erhöhten Wahrnehmung des Wahrgenommen- bzw. Gefilmtwerdens führen kann (Beobachterparadoxon). Dies ist sicherlich auch der Grund für die zum Teil fehlenden Feinanalysen in Lauriers, Mazes und Lundins Studie, da die Aufnahmen aus einiger Entfernung gemacht werden mussten, um den Spaziergang nicht zu stören. Wir planen deshalb punktuell an neuralgischen Punkten bestimmter Spaziergangs-Routen Kameras (ohne Personal) zu installieren.
Neben Kameras kommen auch Eyetracker zum Einsatz. Dies ermöglicht es uns, das Blickverhalten des*der Hundehalter*in zu verfolgen und genauer zu bestimmen, was in welchem Moment in ihrem*seinem Fokus liegt. In diesem Zusammenhang wäre auch ein Eyetracker für den Hund erwägenswert, auch wenn bedacht werden muss, dass die Sehfähigkeit von Hunden anders ausgeprägt ist als beim Menschen (vgl. Byosiere et al 2018). Wir werden diesbezüglich mögliche Kollaborationen mit Pupil Labs, deren Eyetracker wir benutzen, oder mit Anbietern von Hunde-Eyetrackern (z.B. Positive Science) abklären.
Auch Laurier, Maze und Lundin fällt in ihrer Studie auf, dass ein Hauptproblem der Hundehalter*innen offensichtlich die Anpassung ihres Hundes als problemlos integriertes Mitglied einer städtischen Umgebung ist, die sie als urbanising beschreiben: «One of the owner’s problems ist o ubranise his or her dog, and the park is one place for the dog to be in public in the city and learn how tob e an acceptable canine member of the public» (Laurier, Maze and Lundin 2006: 17). Indem wir Hundespaziergänge in einem Zürcher Quartier filmen, konzentrieren wir uns noch stärker auf Alltagssituationen, in denen der Hund ‘verstädtert’ funktionieren muss. Komplettiert werden die Daten der Spaziergänge mit Aufnahmen von Beschäftigungssituationen (z.B. mit einem Aktivitätsspielzeug, das wir allen Teilnehmenden offerieren), um weitere Interaktionsmomente zwischen einzelnen Hund-Mensch-Paaren zu dokumentieren. Hier haben erste Testaufnahmen gezeigt, dass diese nicht nur an sich zu interessanten Erkenntnissen führen (z.B. dem Ritualcharakter von Hund-Mensch-Interaktionen oder spezifischen Kommunikationsstrategien der Menschen), sondern dass sich in diesen Indoor-Aktivitäten ganz andere Seiten bzw. Wesenszüge der Hunde offenbar werden.
Byosiere, Sarah-Elizabeth/Chouinard, Philippe A./Howell, Tiffani J./Bennett, Pauleen C. (2018): What do dogs (Canis familiaris) see? A review of vision in dogs and implications for cognition research. In: Psychon Bull Rev 25: 1798–1813. <https://doi.org/10.3758/s13423-017-1404-7>.
Laurier, Eric/Maze, Ramia/Lundin, Johan (2006): Putting the Dog Back in the Park: Animal and Human Mind-in-Action. In: Mind, Culture, and Activity, 13(1), 2–24.
Für unser Projekt ist die Partizipation von Bürger*innen bzw. Hundehalter*innen mit ihren Hunden von essentieller Bedeutung. Nur durch ihre Mitwirkung können wir die natürlichen Daten – Hund-Mensch-Interaktionen im städtischen Raum – generieren, die für unsere Analyse von Hund-Mensch-Interaktion notwendig sind.
Das Projekt, das zunächst mit einer kontributiven Partizipation gestartet ist, entwickelt sich auch zu einem kollaborativen Citizen Science Projekt: Die Rückmeldungen, von Hundehalter*innen, die bereits bei ersten Video- und Eyetracking-Aufnahmen teilgenommen haben, zeigen uns, dass ein genuines Interesse an der Thematik besteht und dass auch gewünscht wird, gemeinsam die Aufnahmen zu analysieren. Wir möchten daher nicht nur die Datengenerierung gemeinsam mit Bürger*innen bewerkstelligen, sondern sie auch im weiteren Prozess an unserem Projekt beteiligen, indem wir gemeinsame Datenanalysen durchführen. Ein Mehrwert wird in diesem Sinne auch der Wissenstransfer von unserer fachspezifischen Expertise sein, die aufgrund der ethnomethodologischen Herangehensweise auch für Laien verständlich ist und die – so hoffen wir – fundiertes Wissen darüber vermittelt, wie Hund-Mensch-Interaktion in einer städtischen Umgebung grundlegend funktioniert.
Indem wir ausserdem Hunde-Experten bzw. Hundetrainer*innen für die partizipatorischen Datensitzungen hinzuziehen, werden Themen fachkundig besprochen und auch Best Practice Situationen vorgeführt, was ein zusätzlicher Anreiz und Mehrwert für die teilnehmenden Hundehalter*innen schafft. Von den gemeinsamen Analysen profitieren darüber hinaus auch die Hunde-Experten, die ihre Arbeit mit unseren Erkenntnissen selbstreflexiv betrachten können.