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Die analytische Rekonstruktion der kommunikativen Prozesse erfolgt anhand natürlicher schriftsprachlicher Daten. Das Korpus besteht aus den kommunikativen Beiträgen der Beteiligten zweier Blended-Learning-Seminare, die am Deutschen Seminar der Universität Zürich durchgeführt wurden. Die dafür genutzte Lernumgebung "gi - Gesprächsanalyse interaktiv" wurde im gleichnamigen Vorläufer-Projekt am Lehrstuhl von Prof. Dr. Heiko Hausendorf entwickelt.
In den untersuchten Lehrveranstaltungen führen die Studierenden in angeleiteten Arbeitsgruppen ein eigenes gesprächsanalytisches Forschungsprojekt mit allen relevanten Analyseschritten selbst durch. Dabei kommunizieren und arbeiten die Teilnehmenden vorwiegend asynchron schriftlich in der passwortgeschützten Lernumgebung; es finden lediglich drei Präsenztermine pro Semester statt.
Das Gesamtkorpus umfasst 1490 Postings (103.538 Wörter) sowie Wiki-Einträge und Aufgabenlösungen der Studierenden (Text-Dokumente, Audio-/Videodateien). Da die Studierenden vorwiegend im Diskussionsforum kommunizieren, steht die Analyse der Forenkommunikation im Zentrum der aktuellen Untersuchungen; wo sie analytisch relevant sind, werden aber auch die Wiki-Einträge sowie die Arbeitsprodukte der Gruppen berücksichtigt.
Die erhobenen Daten sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die Teilnehmenden in einer nicht routinisierten Kommunikationssituation befinden. Zwar kennen sie die einzelnen Kommunikationsformen wie Chat oder Forum, die ihnen zur Verfügung stehen, aus ihrem Alltag, aber die Lernsituation, in der sie unter Zeitdruck in einer Online-Umgebung aufgabenorientiert zusammenarbeiten müssen, ist für sie neu.
Da im Rahmen der Lehrveranstaltung in kurzen zeitlichen Abständen Fristen für die Dokumentation jedes Arbeitsschrittes einzuhalten sind, bestehen hohe Anforderungen an die Verbindlichkeit und das Gelingen der Kommunikation. Anders als beispielsweise in Diskussionsforen zu Freizeit-Themen ist es für die NutzerInnen der Online-Lernumgebung also zentral, dass alle Arbeitsgruppenmitglieder nicht nur lesend ˌanwesendˈ sind, sondern sich auch aktiv beteiligen und dass gemeinsam ein Vorgehen zur Bearbeitung der Aufgaben ausgehandelt wird. Um diese Situation zu bewältigen, müssen die Teilnehmenden geeignete (teilweise neue) kommunikative Verfahren erproben und etablieren. Dabei erweisen sich die gruppeninternen Foren als kommunikative Mikrokosmen, in denen die Teilnehmenden die affordances der Lernplattform unterschiedlich nutzen, so dass sich gruppenspezifische kommunikative Praktiken herausbilden.
Ein Beispiel für die unterschiedliche Nutzung der affordances der Lernplattform besteht in der Herausbildung unterschiedlicher Strategien im Umgang mit dem Button "Editieren", erkennbar am kursiv und rot gedruckten Editierstempel am unteren Postingrand (siehe unten die Beispiele 2 und 3):
Beispiel 2: Nutzung der affordances, Variante I: monologisches Editieren mit dem Button "Editieren"
Während dieses Kommunikationsangebot in der Mehrzahl der Arbeitsgruppen dazu genutzt wird, eigene Postings nachträglich zu verändern (Beispiel 2), entwickeln andere TeilnehmerInnen im kommunikativen Mikrokosmos ihrer Arbeitsgruppe die Strategie, mithilfe dieses Buttons auch die Postings anderer TeilnehmerInnen zu editieren (Beispiel 3) und auf diese Weise kleine dialogische Episode innerhalb einzelner Postings zu bilden (vgl. Lindemann/Ruoss/Weinzinger, demnächst ) (siehe dazu auch den Abschnitt "Forschungsphasen" ):
Beispiel 3: Nutzung der affordances, Variante II: dialogisches Editieren mit dem Button "Editieren"