Navigation auf uzh.ch
Noah Bubenhofer untersuchte sprachliche Muster mit den Mitteln der Korpuslinguistik. Für den Beitrag im Band "In Krisen erzählen - von Krisen erzählen", der im Mai 2021 in den Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes erschienen ist, wurden über 800'000 Kommentare auf Onlineplattformen von fünf Newsportalen der Deutschschweiz zu COVID-19 im Zeitraum von Februar 2020 bis Ende Januar 2021 gesammelt.
Reaktionen auf die Maskenpflicht
Seine Forschung zeigt zum Beispiel, dass nach Einführung der Maskenpflicht die im ÖV die Masken der andern solange als «eklig, ungewaschen, unhygienisch» empfunden wurden, bis ein Gewöhnungseffekt einsetzte.
In der Linguistik gibt es seit mehreren Jahrzehnten ein grosses Interesse für Alltagserzählungen.
Das Interesse für die Alltagserzählungen liegt nicht (nur) bei der Analyse der einzelnen Geschichten, sondern bei der Herausarbeitung von Erzählmustern. Wie sind solche Erzählungen typischerweise strukturiert? Welche Erzählfunktionen und damit verbundenen Phasen finden sich in den Erzählungen?
Aktuelle korpuslinguistische Ansätze erlauben einen neuen Blick auf Erzählmuster, besonders Ansätze, die korpuspragmatisch vorgehen. Unter Korpuspragmatik versteht Noah Bubenhofer Ansätze, die Muster an der sprachlichen Oberfläche als Spuren sprachlichen Handelns deuten. Mit einer Mischung von KI (künstliche Intelligenz) und qualitativen Analysemethoden werden grosse Textmengen sorgfältig interpretiert.
Social Distancing und Küsschen-Küsschen
In den Onlinekommentaren finden sich laufend kleine Erzählungen zum Thema «Social Distancing» oder zu neuen Begrüssungsformen. Darin spiegelt sich, dass mit der Pandemie neue sprachliche Muster für neue Verhaltensmuster gefunden werden müssen. Im Reden darüber positionieren sich die Kommentierenden gegenüber solchen Praktiken und argumentieren dafür oder dagegen:
«Man sieht es täglich draussen. Handshakes, Umarmungen, Küsschen... es wird unweigerlich wieder schlimmer»
Quelle cov_c_20210201476883, Nau, 27.6.2020
Die kurzen Einblicke in den semantischen Raum des Corona-Diskurses in der Deutschschweiz – hier auf Online-Zeitungskommentare beschränkt – geben Hinweise auf die Bedeutung von Wiedererzählungen zur Positionierung, Bewertung und Argumentation in diesem Diskurs. Es finden sich sowohl minimale Erzählungen als auch umfangreichere Erzählungen (zumindest in Relation zu den eher kurzen Texten dieser Textsorte), jedoch auch abstrakte oder kollektivierte Erzählungen, die nicht zwingend auf tatsächlich Erlebtes zurückgehen.
"Masken und Küsschen: Korpuslinguistische Exploration des Corona-Diskurses in der Deutschschweiz". Erschienen in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. In Krisen erzählen – von Krisen erzählen. Sprachliche, literarische und mediale Dimensionen. Hrsg. von Jan Standke und Elvira Topalović, 2021.
https://www.vr-elibrary.de/doi/epdf/10.14220/mdge.2021.68.2.127