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«In Strickers “Pfaffe Amis” wirkt Geld dynamisch, es treibt die Erzählung an und hält die Narration in Bewegung.» Pia Selmayr, Postdoc am Deutschen Seminar, beleuchtet in ihrem Vortrag an der IVG 2021 den Zusammenhang zwischen Topologie und Ökonomie.
In dem ca. um 1240 entstandenen Schwankroman «Pfaffe Amis» zieht ein Paffe beutemachend in die Welt hinaus, um seine Gastlichkeit und «milte» zuhause zu finanzieren. Es handelt sich dabei um den ersten Schwankroman in deutscher Sprache, der in unterschiedlichen Episoden die betrügerischen und auch lustigen Machenschaften des zwiespältigen Protagonisten nachzeichnet. Die Erzählung ist in dreizehn Handschriften überliefert, eine davon liegt in der Zürcher Zentralbibliothek (MS S 318).
Der Pfaffe Amis stiehlt das Geld und gibt es – er ist bekannt für seine «milte» und «güete» - gleich wieder mit vollen Händen aus. Gemäss Pia Selmayr handelt es sich bei der Hauptfigur im Roman um einen Aufsteiger im kirchlichen Umfeld, der von seinem Autor «der Stricker (…) als die Ursache für die Lüge in der Welt1:» beschrieben wird: Er was der erste man, / der sulches triegens ie began. / Man was sin dannoch ungewon (V. 1321ff.).2
«Seine Betrügereien, die sich – um eine Formulierung Hanns Fischers aufzunehmen – vom Wort- zum Tat- bis hin zum Gewaltbetrug steigern lassen3, führen ihn von England über Frankreich, nach Lothringen und Griechenland und immer wieder auch zurück nach England. Dabei handelt es sich bei seinen Reisebewegungen weniger um das mittelalterliche Strukturschema des exil and return4, sondern eher um ein rasantes bejagen, das einen immer höheren Geldgewinn anstrebt. Das lockere Reiseschema fungiert nicht als „makrostrukturelles Organisationsprinzip“5, sondern es koppelt kleinere Erzähleinheiten an Formen von Wissen, Kommunikation, Zeit und Geld.»
Credits: Gerd Altmann, Pixabay
Die Erzählwege verbinden sich mit den Reisewegen. Das Zuhause in Tramis, wo der Pfaffe seine Gäste bewirtet, ist die Konstante in der Erzählung. Wenn er unterwegs ist, bewegt er sich «nicht in einer unbekannten Fremde»6, sondern weiß genau, wo er ist, mit wem er es zu tun hat und wie er das für sich gewinnbringend nutzen kann.»
Sein Hauptweg in den ersten drei Schwänken ist der von England über Paris nach Lothringen und zurück. Ein Beispiel seiner fantasievollen Betrügereien: Am französischen Hof gibt er sich als Maler aus und behauptet, seine Bilder könnten nur ehelich Geborene sehen. Der Pfaffe reist schnell, meist schneller als seine Täuschungen aufgedeckt werden. Seine Reisen kennen kein geografisches Ziel: «Das Geld wirkt (…) dynamisch, es treibt die Erzählung an und hält die Narration in Bewegung».
Die Nebenwege in den meisten anderen Schwänke im Roman sind hingegen geprägt durch ein «richtungsloses Bejagen von Beute»: «Weder finden sich Grenzübertritte noch Ortsbezeichnungen, nur selten werden Zeitangabe gemacht oder Fahrtformeln eingebaut; das einzige, was zählt, ist der Gewinn: von 10 Pfund bis 30 Mark, feinen Kleidern und seidenen Tüchern sowie Spenden und Opfergaben ungezählter Art.»
Ein Vergleich mit der heutigen Zeit und der Frage, ob Betrüger:innen immer noch reisen müssen, um Geld zu machen, steht noch aus.
Der Vortrag von Pia Selmayr fand im Rahmen der Sektion A18 «Umwege, Nebenwege, Abwege. Transkulturalität in der Literatur des Mittelalters» des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) am 31. Juli 2021 statt und steht im Kontext ihres Habilitationsprojekts zu pluralen Ökonomien in Schwanktexten vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit.
Pia Selmayr forscht u.a. zu Ökonomie, Dingtheorie, Text-Bildverhältnissen, Narratologie und Poetologie. Gemeinsam mit Daniela Fuhrmann erschien in diesem Jahr der Sammelband «Erzählte Ordnungen – Ordnungen des Erzählens. Studien zu Texten vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit», der in der Reihe «Trends in Medieval Philology» als Nummer 40 bei DeGruyter in Berlin verlegt wurde.
1 Nu saget uns der Stricker / wer der erste man wer, / der liegen triegen aneviench, / und wie sin wille fur giench, / daz er niht widersazzes vant. (V. 39–43).
2 zitiert, auch im Folgenden, nach dem Vortragsmanuskript von Pia Selmayr, 2021
3 Vgl. Hanns Fischer: Zu Gattungsform des ‚Pfaffe Amis‘, in: ZfdA 88 (1957/58), S. 291–299, hier S. 293.
4 Vgl. Peter Strohschneider: Kippfiguren. Erzählmuster des Schwankromans und ökonomische Kulturmuster in Strickers ‚Amis‘, in: Jan-Dirk Müller (Hrsg.): Text und Kontext: Fallstudien und theoretische Begründungen einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik, München 2007, S. 163–190, hier S. 181.
5 Strohschneider, Kippfiguren, S. 181.
6 Vgl. ebd.