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Hintergrund
An der Schnittstelle von ästhetischer und ökonomischer Theorie leistet das Forschungsprojekt ,Poetik des Überflusses: Ästhetik – Ökonomie –Literatur‘ literaturwissenschaftliche Grundlagenforschung. Was die literarische Ästhetik seit dem 18. Jahrhundert zur Grundlage ihres Nachdenkens über das Schöne gemacht hat, bleibt für die sich entwickelnde Ökonomik ein fundamentales Problem: der Überfluss. Denn während der Überfluss etwa in der Schwulstkritik der Aufklärung zum Gegner und Bezugspunkt der literarischen Ästhetik avanciert, ist er anders als beispielsweise der prinzipiell reinvestierbare Gewinn nicht in die auf Ausgleich und Selbstregulierung abonnierten ökonomischen Kreislaufmodelle integrierbar. Damit vermessen sowohl ökonomische wie auch ästhetische Theorien an der Grenze des Viel zum Zuviel, von der Fülle zur Überfülle ihre Tragfähigkeit, was den Überfluss zur Probe aufs Exempel macht. Er ist nicht einfach ein Ungleichgewicht, das es auszugleichen gilt, sondern er bedroht die ästhetische wie ökonomische Ordnung.
Literarische Texte greifen diese Konstellation auf, indem sie den Überfluss konkretisierend veranschaulichen. Dabei stellen sie die Ambivalenz des Überflusses aus, der in den Bildern, Szenen und Narrativen der Literatur mit widerstreitenden Bewertungen verhandelt wird. Nicht zuletzt macht Literatur auch darauf aufmerksam, dass mit dem Überfluss einer der wirkmächtigsten metaphorischen Implikationszusammenhänge auf dem Spiel steht, dessen Tradition mit der abundantia – dem überfliessenden Wasser – bis in die antike Rhetorik reicht. Damit lassen sich auch metaphorische Interdependenzen in den ästhetischen und ökonomischen Theorien neu beleuchten, wenn etwa von überfliessenden Regeln oder vom Grenznutzen des Wassers in der Ökonomie bzw. den fliessenden Formen in der Ästhetik die Rede ist. Auf der Grundlage eines exemplarischen Korpus vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart analysiert das Projekt erstmalig diese Interdependenzen zwischen Ästhetik, Ökonomie und Literatur.
Bedeutung
Überfluss gilt auch über 60 Jahre nach John Kenneth Galbraiths ,The Affluent Society‘ (1958) als das zentrale Problem der postbürgerlichen Gesellschaft, das ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit verhindert, soziale Ungleichheit verschärft und ihre Mitglieder in den Burnout treibt. Die postmoderne ,Überflussgesellschaft‘ produziert und konsumiert schlicht zu viel: zu viele Daten um sie zu interpretieren, zu viel CO2 um es zu kompensieren, zu viel Geld um es zu verzinsen, zu viel Kunst um sie wahrzunehmen und zu viele Bücher um sie zu lesen. Der derzeit dominierende Fokus auf die krisenhafte Variante des Überflusses vergisst aber eine Ambivalenz, die für den Überfluss in der Literatur kennzeichnend ist. Das Projekt will diese Ambivalenz des Überflusses auf der Basis einer Konstellation von ästhetischen und ökonomischen Theorien untersuchen. Damit macht es auch die Gegenwart der ,Überflussgesellschaft‘ neu lesbar.
Gefördert mit einem Ambizione-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds
Laufzeit: 01.09.2021–31.08.2025